Archive for June, 2008

Teatime in India

Sunday, June 29th, 2008

Gelbe Hitze, staubschwere Luft. Wir treten aus dem kühlen Schatten des Mandai-Markts heraus und haben Durst auf Chai. Chai, oder Cha auf Marathi, ist die indische Antwort auf den englischen Fünf-Uhr-Tee, nur dass sich Inder in ihrem Teekonsum nicht auf eine Tageszeit beschränken. Überall und zu jeder Zeit wird der süße, starke schwarze Gewürztee angeboten und konsumiert. Chai ist nicht bloß ein Getränk in Indien, es ist eine Lebenshaltung.

Wir haben Glück: Gleich an der Lieferrampe für Bananenstauden steht ein Chai-Wallah mit seinem mobilen Teestand. Der Kerosinbrenner faucht, der verbeulte Aluminiumtopf mit dem Gebräu brodelt. Gelassen steht der Mann an seinem Brenner, beobachtet den siedenden Inhalt, nimmt Augenmaß und gießt immer dann, wenn der Topf überzukochen droht, mit einer Kelle in hohem Bogen ein wenig von der Flüssigkeit in eine Extrakanne, nur um dann, wenn sich das Gebräu beruhigt hat, den Inhalt der Kanne wieder dem Topf hinzuzufügen. Jedesmal mit großer Geste, prüfend, routiniert. Dann noch ein wenig grob zerteiltes Lemongrass hinzugefügt, blubbernd aufgekocht, erneut abgeschöpft, im Bogen gegossen, bis der Meister zufrieden ist. Das dauert. Erst wenn ein Maximum an Cremigkeit, an sahniger Konsistenz erreicht ist, wird der Tee serviert: Mit einem feinen stolzen Lächeln gießt uns der Wallah den Tee in zwei der bereitstehenden Gläschen.

‘murder‘, she wrote!

Sunday, June 29th, 2008

Ich bin ein Schwein. Ich bezichtige mich hiermit öffentlich des Mordes an einer Vielzahl von Mücken, Fruchtfliegen und gemeiner Stubenfliegen. Achtzehn Jahre buddhistischer Literatur haben nichts ausrichten können, wenn es darum geht, ein mannigfaltiges “ssssssrrrrrrr” und ein hochtönendes “ssssiiiiiiiiii” gelassen zu ertragen. Nachdem wir etliche Nächte schlecht schliefen, weil andauernd einer von uns um sich schlug, sannen wir auf Rache. Zunächst war es die Chemiekeule, die wir im Schlafzimmer installierten und die dafür sorgte, dass Mücken und Fliegen gelähmt zu Boden fielen. “All Out” heißt dieses kleine Wundermittel treffend, in jedem Supermarkt zu erstehen. Zufrieden drehten wir uns um, ein leises maliziöses Lächeln huschte über unsere Gesichter und wir schliefen endlich wie die Eichhörner in einer kalten Winternacht.

Ein Adler zu Besuch

Sunday, June 29th, 2008

Zwei Tage, nachdem wir Assai beerdigt hatten, ließ sich dieser Adler auf einem Ast über seinem Grab nieder und blieb für mehrere Stunden. Nicht einmal meine Fotografierei störte ihn. Er ist seitdem noch einige Male wiedergekommen, blieb aber nie mehr so lange, wie an diesem Tag.

This is what India is about

Sunday, June 29th, 2008

Manoj hatte mich gewarnt: “Tomorrow, Madam, you won‘t get anywhere in Pune – all the streets are going to be jam packed! There‘s going to be a big palkhi.” Ich fragte nach: Was ist denn so ein palkhi? Wem zu Ehren? Und warum? Manoj murmelte etwas von Sant Tukaram, ich dachte: “Häh?” Er konterte mit: “Someone like Sai Baba!” Das verstand ich. Sai Baba ist einer von Indiens berühmtesten selbsternannten Heiligen, ein Wundertätiger.

Aber lebte denn dieser Tukaram noch, kam er persönlich, oder was rechtfertigte den zu erwartenden Menschenauflauf? “No, no, he‘s dead”, sagte Manoj und schüttelte den Kopf. Ein Palkhi könne man nicht erklären, das sei eben ein Palkhi, es gebe nichts Vergleichbares in der westlichen Welt. “Dann müssen wir dahin, Manoj!”, sagte ich und erntete ein zweifelndes Lächeln von der Fahrerseite. Ich sah zufrieden und ein wenig selbstgefällig aus dem Fenster: Das wird schon nicht so schlimm sein, dachte ich mir, eben eine der üblichen indischen Übertreibungen.

Assai – ein Nachruf.

Sunday, June 22nd, 2008

Assai – ich denke an Dich, Tag und Nacht, auch wenn Du nicht mehr bei uns bist. Aus meinem Fenster sehe ich auf die Stelle im Garten, wo wir Dich begraben haben, in dieser schrecklichen Nacht vor einer Woche, als es Zeit war, für Dich zu gehen. Eigentlich wollten wir Zuckerrohr auf Deinem Grab pflanzen, als Ersatz für die Zuckerrüben, die du mit Wonne aus den Feldern grubst und Dir stolz um die Ohren schlugst, so fett und lecker war die Beute, die Du jeden Herbst machtest und dann mit Hochgenuss verschlangst. Nun aber steht ein Topf mit Clematis auf deiner letzten Ruhestatt und Kaskaden von kleinen weißen Blütchen bedecken die nackte Erde. Ich hoffe, Du magst auch sie.

“two rupees.”

Friday, June 20th, 2008

Ich war heute einen Tee trinken mit Manoj, wie so oft, auf unseren Einkaufstouren durch die Stadt, die uns häufig zu Dorabjees und einem nahegelegenen Aquarium-Shop führen. Manoj plauderte ein wenig mit einem Freund, Vinodh, und wir alle genossen die entspannte Atmoshäre nach einem arbeitsamen Tag, auf der Straße stehend, neben dem Auto, um uns herum das quirlige Leben, das nur Indien einem schenken kann.

Als ich schließlich zum Aufbruch mahnte, eingestiegen war und die Tür schloss, zeigte sich neben dem Fenster ein ernstes Jungengesicht. “Madam, shoeshine?”, fragte der Elfjährige zaghaft und überhaupt nicht gierig durch die Scheibe und ich schüttelte den Kopf. Wir hatten es eilig. “No!”, formten lautlos, aber sanft meine Lippen, doch der Kleine ließ nicht locker. Ich verneinte zwei weitere Male lächelnd, deutete auf meine Schuhe, die doch gerade erst von einem anderen Schuh-Künstler auf Hochglanz gebracht worden waren.