“two rupees.”

Ich war heute einen Tee trinken mit Manoj, wie so oft, auf unseren Einkaufstouren durch die Stadt, die uns häufig zu Dorabjees und einem nahegelegenen Aquarium-Shop führen. Manoj plauderte ein wenig mit einem Freund, Vinodh, und wir alle genossen die entspannte Atmoshäre nach einem arbeitsamen Tag, auf der Straße stehend, neben dem Auto, um uns herum das quirlige Leben, das nur Indien einem schenken kann.

Als ich schließlich zum Aufbruch mahnte, eingestiegen war und die Tür schloss, zeigte sich neben dem Fenster ein ernstes Jungengesicht. “Madam, shoeshine?”, fragte der Elfjährige zaghaft und überhaupt nicht gierig durch die Scheibe und ich schüttelte den Kopf. Wir hatten es eilig. “No!”, formten lautlos, aber sanft meine Lippen, doch der Kleine ließ nicht locker. Ich verneinte zwei weitere Male lächelnd, deutete auf meine Schuhe, die doch gerade erst von einem anderen Schuh-Künstler auf Hochglanz gebracht worden waren.

Schließlich kurbelte ich die Scheibe herunter und reichte dem Jungen ein Fünf-Rupien-Stück. Achtsam drehte er es in der Hand, sah mich bedächtig, geradezu betroffen an, ganz große, sanfte, rehbraune Augen, und sprach mit stolzer, ernster Stimme, viel älter als er selbst: “But Madam, this is begging! I‘m not a beggar, I‘m working hard for my money!” “Vielleicht”, sagte ich dann, “aber leider habe ich jetzt keine Zeit fürs Schuheputzen, wir müssen los, aber du kannst das Geld behalten. Nächstes Mal, ja, nächstes Mal, treffe ich Dich und dann kannst du putzen!” Er gab auf, verneigte sich ebenso ernsthaft, wie er mich angesprochen hatte und ließ mich ziehen.

Unser Wiedersehen ließ nicht lange auf sich warten. Kaum war ich an einem Wineshop der East-Street ausgestiegen, als ich sein Gesicht wiedererkannte: “Shoeshine?” Ich zögerte nicht lange: Wenn ich genug Zeit hatte, Wein einzukaufen, dann sicherlich auch, um mir von diesem kleinen Mann die Schuhe putzen zu lassen. “No polish, madam, just brush! You don’t need much time!”.

Gesagt, getan. Nachdem mich der Kleine in bemerkenswert gutem Englisch ausgefragt hatte, wer ich sei und woher ich käme, war ich an der Reihe: “You‘re coming from Pune?” “Nein!”, antwortete er mir. Er sei aus Jaipur hier, einer Stadt in dem armen Bundesstaat Rajasthan, mit seiner Mutter und einem weiteren Bruder und einer Schwester. Woher er denn so gut Englisch könne, fragte ich ihn weiter und er antwortete stolz, dass er eine “secondary english tuition class” besuche. “You speak very good english”, lobte ich ihn und ein feines Lächeln huschte über sein ernstes Gesicht.

Eine Sorge plage ihn allerdings: Er habe nicht die richtige Ausrüstung für sein Geschäft: Er würde dringend ein ordentliches Kästchen benötigen, in dem er seine Schuhputzsachen unterbringen könne und hielt mir das Bündel seiner Sachen entgegen. Ich fragte ihn: “And how much is a box like that?” “Zweihundertachtzig Rupien!”, lies er mich wissen. “Aber warum sparst Du denn nicht?”, fragte ich ihn. “Madam, from what I am earning, you cannot save money, not that much.” Ich glaubte ihm nicht nur, ich wusste, er hatte recht. Du kannst nichts sparen, wenn Du von den lausigen paar Kröten, die Du mit Schuheputzen verdienst, Deine Familie durchbringen musst. Und daran, dass er der “Breadwinner”, also der Brotverdiener der Familie war, hatte ich keinen Zweifel, obwohl er nichts dergleichen gesagt hatte.

Schließlich fragte ich ihn nach seinem Namen: “My name is Ajahn!”, antwortete er und richtete sich auf. “Finished, Madam!”, stellte er nach einem prüfenden Blick auf meine blitzenden Schuhe fest und sah aus wie einer, der wusste das er einen guten Job gemacht hatte. Ich fragte ihn, was seine Arbeit denn nun kosten solle: “Two Rupees, please!”, antwortete er leise und ich widerum wusste, dass er mir den echten, den indischen Preis genannt hatte: Zwei Rupien kann man nicht einmal in Cent ausdrücken. Ich schaute ihm ernst in die Augen: “You really need that box, don‘t you?”, fragte ich ihn und das Rehauge nickte, konzentriert, ernst. “O.K., let me do one thing”, sagte ich zu ihm und drückte ihm ein Bündel Zehner in die Hand, insgesamt nicht mehr als 40 Rupien. “Das musst Du wirklich für Dein Kästchen verwenden, versprichst Du mir das? Spare darauf, o.k.?” Er schluckte und nickte, bescheiden, in sich gekehrt, nicht fassend, dass ihn wirklich jemand ernst nahm. Ich ging, er sah auf seine Hand, dann drehte ich mich noch einmal zu ihm um, dem kleinen, großen Brotverdiener, lächelte und winkte. Zaghaft lächelnd winkte er zurück.

Als ich kaum zehn Meter entfernt war, fiel mir die Geschichte von Timmerberg ein, die Geschichte von ihm und einer Bettlerin in Kalkutta, die ihn über Stunden verfolgt – er ist unwillig zu geben, sie unwillig aufzugeben, stundenlang. Schließlich beschämt sie ihn, weil sie sich so maßlos über seine fünf Rupien freut, den indischen Tarif. Daraufhin sucht er sie für zwei Tage, will sie richtig glücklich machen, ihr mehr geben, weil sie so bescheiden ist, aber findet sie nicht mehr. Und es lässt ihm keine Ruhe.

Ich will nicht denselben Fehler machen, mache also auf dem Absatz kehrt, rufe den kleinen Mann zurück: “Ajahn!” und Ajahn kommt. Schweigend nehme ich die 40 Rupien aus seiner Hand und lege stattdessen einen Hunderter hinein: “This is for your box only, o.k.?” Regard it as an investment in your future, save it!”, gebe ich ihm mit auf den Weg und er nickt, schweigsam, ernst, anerkennend. “I will pray for you, Madam.”, sagt Ajahn mit fester Stimme, ich weiss, er meint es ernst. “I will pray for you, too!” Ungläubig sieht er mich an, aber er merkt schnell, dass ich ihn nicht verarsche. Mein ganzes Leben ist ein Gebet, auch wenn ich bestimmt nicht an den großen, weißen Mann im Himmel glaube. Aber ich glaube an die Liebe in jedem von uns, daran, was jeder einzelne von uns tun kann, welch Frieden in die Brust einzieht, wenn es nicht nur gilt, das eigene Ego zu befriedigen. Und in diesem Sinne kann ich für Ajahn beten, darum, dass er Menschen begegnet, die seine Ernsthaftigkeit, seine Tapferkeit und seine Intelligenz wahrnehmen und die etwas für ihn tun. Dann drehe ich mich um und gehe zu Manoj, unserem großen Auto, unserer heilen Welt und hoffe, dass ich diesem tapferen kleinen Mann wiederbegegne, irgendwann, irgendwo in Pune.

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