Warum ich Indien liebe, die 2.te

Ich werde Indien nicht mehr verlassen, wenn es nach mir geht. Jedenfalls nicht, um woanders zu leben. Und wenn nicht Indien, so auf keinen Fall die Tropen, was für mich gleichzusetzen ist mit Asien, insbesondere Süd-Ost-Asien. Ich sitze in einem kleinen Tandur-Lokal auf einem schmierigen, fragilen Plastikstuhl direkt am schmutzigen Gehsteig der Dhole-Patil-Road und lasse entspannt das nächtliche Treiben an mir vorbeiziehen. Dann greife ich zum Handy, um U. kurz darüber zu informieren, dass ich nie wieder zurück will. Er versteht und grunzt zustimmend in den Hörer. Darin sind wir uns einig. Ich könnte und werde an dieser Stelle eine kurze Liste aufführen, warum ich Indien hassen könnte.

Das Internet. Mal funktioniert‘s, die meiste Zeit nicht. Ich habe in den vergangenen Wochen endlose (und endlos viele) Telefonate geführt, um die Kisten zum Laufen zu bringen, versprochen wurde viel, passiert ist wenig bis nichts. Angeblich liegt’s an ‘nem deutschen Server, den sie zum Laufen bringen müssen: „Madam, just another one and a half days, then it‘ll be working“. Naja.

Die Unzuverlässigkeit. Egal ob Fahrer, Shopangestellte, sog. Bekannte oder entferntere Dienstleister: Du kannst Dich auf nichts verlassen, außer dass Du mindestens, bei jedem Termin, den Du vereinbarst, ein bis zwei Stunden draufschlagen kannst, bevor sich jemand blicken lässt. Wenn überhaupt.

Das Handy. Katastrophe. Aus nicht nachvollziehbaren Gründen hatte Airtel meinen Anschluss vom Netz genommen. Der Shop, in dem ich das Handy und die SIM-Karte erstanden hatte, hatte mich immer wieder vertröstet und Dokumente nachgefordert. Zuletzt war es ein Papier, dass gleichzeitig meine Anschrift und ein Foto ausweisen sollte. Pustekuchen, denn keines unserer Dokumente erfüllte beide Eigenschaften: also entweder Foto oder aktuelle Adresse. Ein aktuelles Dokument, das beides zusammen ausweist, haben wir nicht. Das erklärte ich auch dem Airtel-Mann, aber der war unerbittlich. Schließlich gaben sie sich mit meinem alten, inzwischen abgelaufenen Personalausweis zufrieden, der, natürlich, nur eine deutsche Adresse aufweist, die nicht mehr unsere ist, denn wir leben ja in Indien. Das versuchte ich auch mehrfach dem Airtel-Mann klarzumachen, aber nein, sie wollten dieses Dokument, weil es Foto UND Adresse zeigte. Wir kopierten und hofften und grinsten. Aber nichts tat sich. Airtel blieb hart.

Schließlich, so zwei Wochen später ohne Handyempfang, lieferte mich Manodsch in einer der Airtel-Hauptzentralen ab und ging mit mir mit, um zu übersetzen. Mein Ton war bestimmt, das Ansinnen deutlich. Ich stellte Ihnen ein Ultimatum: Entweder bekämen sie mich innerhalb von zwei Stunden wieder online, oder ich würde zu einem anderen Provider wechseln. Geduldig nickte der Airtel-Angestellte auf der anderen Seite des Tresens. Ja, aber dafür müssten sie erst einmal meine korrekten Unterlagen haben, und dann würde die Freischaltung erneute drei bis vier Tage dauern.

An dieser Stelle hätte ich gehen können, oder müssen, um glaubhaft zu sein, aber ich wusste bereits, dass andere Anbieter dieselben Papiere fordern. Außerdem macht Indien Dich weich in der Birne, weil Du täglich mit etlichen Entscheidungen dieser Art konfrontiert wirst und es wenig Sinn hat, jedesmal beleidigt den Schwanz einzuziehen. Das verlagert das Problem nur.

„Your application has been rejected because of the incomplete documents you provided“. Aha, hab ich mir schon gedacht, hatte ja lange genug Zeit dazu. An dieser Stelle lohnt es sich zum besseren Verständnis darauf hinzuweisen, dass es sich bei meinem Handy um einen PREPAID-Anschluss handelt, ich also, selbst wenn ich anders wollte, nur das vertelefonieren kann, was ich vorher auf das Handy lade. Also wozu der ganze Zirkus? Ich kann doch niemanden schaden! Nur Fragezeichen auf den Gesichtern. “Madam, Airtel wants these documents, otherwise…” Das mag ja für einen Inder eine ausreichende Begründung sein, für einen das Hinterfragen gewöhnten Europäer jedoch schwer zu begreifen. Mein Gott, what a mess. Dann erneutes Formulare ausfüllen, den ganzen Antragsscheiss noch einmal – alles auf den Namen von U., auf den wir den Erstantrag gestellt hatten. Glücklicherweise hatte ich ein Passfoto von U. dabei – Ein unersetzliches Requisit. Schließlich nickte der Airtel-Angestellte zufrieden, bis auf meine Unterschrift: „It will be rejected because of the different signatures“, ließ er mich wissen, und ich sparte mir, darauf hinzuweisen, dass bei der ersten Anmeldung die Leute aus dem Handy-Shop für mich unterschrieben hatten, das ginge schon in Ordnung.

Dann wurde ich wütend: Mein Mann sei in New Delhi, und käme erst Ende der Woche zurück, erklärte ich, und wie ich das dann bewerkstelligen sollte, eine Unterschrift von einem Geist?

Dann aber die rettende Idee: „Don‘t look here right now!“, wies ich das ganze Büro an und setzte dann, an jeder geforderten Stelle, meine Interpretation von U.‘s Unterschrift darunter. Um noch eins draufzusetzen, appellierte ich an sein Mitgefühl. Und womit kann man einen Inder treffen? Mit seiner Familie. Ich erklärte ihm also, dass das für mich ja wirklich eine unerträgliche Situation sei, vor allem für meine Mutter, die mich ja immer vergeblich versuchen würde zu erreichen (was nicht der Wahrheit entspricht, meine Mutter ruft so gut wie nie an), und nun ganz verzweifelt sei. Da wusste ich, ich hatte ihn. „I will take personal care of your case“, versicherte er mir, und so war es denn auch: nach bescheidenen zweieinhalb Tagen guckte ich morgens auf das Display meines Handys und sah: „One missed call“. Ich war wieder online! Hat nur die Klitzekleinigkeit von vier Wochen gedauert, was soll’s.

Und: Indien ist alles andere als politisch korrekt: Jeden Tag begegnet mir ‘Hardcore-Indien‘, wie Helge Timmerberg es nennen würde, verlassene, versoffene, verzweifelte, verdreckte und verlauste Gestalten, die Dich im Zweifel als wandelnden Geldautomaten sehen und Dich mit einer Impertinenz an ihr Elend erinnern, dass es wirklich weh tut. Abgesehen verhalten sich reiche Inder gegenüber ihren ärmeren Mitmenschen häufig wie Arschlöcher, insbesondere ihren Angestellten gegenüber. Aber davon ein andermal. Haarsträubende Geschichten.

Und dennoch: Ich sitze an der Dhole-Patil-Road und kann heut Abend nichts anderes tun, als mich zu freuen. Darüber, dass Indien so anders ist, so wenig politisch korrekt, so wenig langweilig, solange man sich nicht mit der Upper-Class beschäftigt, aber auch dann hat man noch nette Abende, der Single-Malt fließt in Strömen und alle versichern sich lachend und ausgelassen, dass sie dazugehören. Yeah, Elite ist ein Thema. Wirklich witzig, solange man nicht mitmachen muss. Und das muss man nicht, denn man ist weiss, und das ist per se schon mal ne Eintrittskarte, die man nutzen kann, aber nicht muss.

Auch sonst ist Indien herzerfreuend uncool, denn hier wird alles indisch erledigt: Gerade hat ein Eis-Wallah mit nacktem Oberkörper einen Block Gefrorenes vorbei gebracht, tröpfelnd geschultert auf einem schmalen Blechtablett, vermutlich um die Fische, Hähnchen und Schalentiere zu kühlen, die hinten im Restaurant lagern und auch hier freue ich mich diebisch darüber, dass es auch anders geht als im gesetzesvernarrten Europa: Indien ist das Land der kleinen Lösungen und darin sind sie ganz groß. Und als ich schließlich meinen kleinen Salat, bestehend aus feinen Tomatenscheiben, Zwiebelscheiben und Limonenstückchen als Vorspeise serviert bekomme, bin ich unendlich froh, dass mich keiner fragt, welches Dressing ich dazu wünsche, sondern genieße, so wie die Inder, ein wenig Salz und Pfeffer plus Zitronensaft auf den Scheiben und alles ist perfekt.

Tags: , , , , ,

One Response to “Warum ich Indien liebe, die 2.te”

  1. Stefanie says:

    Ein toller Text unter vielen. Es macht Spaß und fühlt sich an wie ein kleiner Abenteuerurlaub, Deinen Blog zu lesen. Ich wünsche mir und Dir, daß
    Dein Internetanschluß zuverlässig läuft und ich weiterhin so schöne Geschichten zu lesen bekomme. Danke!
    Steffi