WATCH IT!

Es ist die Geschichte eines Geknechteten, eines Wehr- und Chancenlosen, der viel zu früh erwachsen wird.

Es ist auch die Geschichte dreier Freunde, zwei davon Brüder, die sich der Härte und Unerbittlichkeit des indischen Lebens in einem der großen Slums Mumbais stellen müssen, der Brutalität des Alltags, der Brutalität ihrer Ausbeuter, der Brutalität einer mittellosen Flucht und des Überlebens auf der Straße, ohne Eltern, ohne Fürsorge, ohne Perspektive, und, vor allem, ohne Schutz.

Und es ist die Geschichte eines Sieges. Eines Sieges der Integrität über die Korruption, der Bescheidenheit über die Gier und des Vertrauens über die Hoffnungslosigkeit.

Slumdog Millionaire ist ein großer Film, der den Finger ganz tief ins Fleisch indischer Wunden legt, ohne voyeuristisch zu sein. Ein temporeicher Film, der schockiert, selbst wenn man in Indien lebt, der trifft. Bei dem man leidet, bei dem man fühlt. Jamals Schicksal lässt einen nicht kalt; der Film ist Hardcore-Indien. Jeder Schlag ins zarte Kindergesicht, jeder Tritt gegen den fragilen Körper ist Schlag und Tritt gegen die universelle Menschenwürde, gegen alles, was eine Seele hat.

Er hat seine vier Golden Globes nicht zu unrecht bekommen und er wird weitere Auszeichnungen bekommen, zehn Oscar-Nominierungen warten schon.

Hindu-Nationalisten empfinden den Film naturgemäß als Affront gegen Indien, insbesondere wird kritisiert, dass es sich mal wieder Ausländer erlauben, Kritik an den Verhältnissen in Indien zu üben, denn im Stab des maßgeblichen Filmteams sitzt nur ein Inder, der Komponist. Laut diepresse.com kennt daraufhin der nationalistische Pöbel der Shiv Sena widerum nur eine Antwort: GEWALT. Kinos stürmen, Plakate abreißen, Schalter zerkloppen – das ist eine prima Antwort auf die Message des Films, belegt sie doch direkt, woran dieses Land krankt.

Wenn ich eine Kritik an dem Film äußern soll, dann diese: Er endet zu positiv. Das erleichtert die Seele beim Verlassen des Kinos und auch beim ersten Glas Wein, wenn man nach Hause kommt. Man muss sich nicht erschießen, weil man das Elend dieser Welt nicht mehr aushält. Und auch die Valium-Flasche bleibt im Schrank. Allerdings bezweifele ich, dass das Ende des Films in irgendeiner Weise etwas mit dem Schicksal der anderen Millionen von Slumkindern zu tun hat, die verkauft oder gekidnappt, verstümmelt oder in die Prostitution gezwungen werden. Denn das ist dann nicht Film. Das ist real India.

Kinostart in Deutschland: Voraussichtlich 19. März. Go for it.

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10 Responses to “WATCH IT!”

  1. Teodoraa says:

    Mein Mann stammt aus Mumbai und als wir uns den Film angesehen hatten, war er immer nur überrascht, wie detailreich und wahr dieser Film tatsächlich das Leben in Mumbai darstellt und wie lange dafür offenbar vor Ort recherchiert (und Zeitung gelesen) wurde.
    Und wenn man sich darüber aufregt, dass der Film von einem ausländischen Filmteam gemacht werden musste, muss man sich auch fragen lassen… warum wurde das Buch des indischen Autors Vikram Swarup “Q and A” dann nicht von einem indischen Team verfilmt? Wenigstens zeigte sich A.R.Rahman genauso begeistert von diesem Film und ich wünsche ihm sehr, dass er seinen Oscar dann auch mit nach Hause nehmen kann. 🙂

  2. Kerstin says:

    Hallo Julia,

    ich habe vor, mir den Film am Wochenende anzuschauen, vorsorglich habe ich letztes Wochenende schon mal das Buch gekauft (das besser sein soll als der Film, aber das ist ja oefter so). Von daher bin ich gespannt bei soviel Vorschuss-Lorbeeren durch die Medien.

    Und ich hoffe, dass Indien endlich lernt, mit Sozialkritik umzugehen. Diese staendigen Gewalttaetigkeiten (gegen Frauen, Kindern, Wehrlose) sind ja nicht mehr auszuhalten….Erst heute habe ich in den Nachrichten gesehen, wie ein Polizist (!!!) ein kleines (natuerlich armes!!!!) Maedchen behandelt hat. Sorry, etwas off topic, aber das regt mich echt auf!!!

    @ Teodoraa,

    warum das Buch nicht von einem indischen Team verfilmt wurde, liegt fuer mich auf der Hand: Das indische Volk ist an solchen Filmen nicht wirklich interessiert, da sie dieses Elend jeden Tag sehen muessen, also warum noch im Kino?
    Ich kann schon ein Stueck weit nachvollziehen, warum die Bollywood-Schnulzen so gut laufen, weil sie eine schoene Traumwelt fuer 3 Stunden bieten und nicht die harte Realitaet.

    LG
    Kerstin

  3. jules says:

    Hallo Teodoraa -viele Grüße in die kanadische Wildnis (oder ist es Großstadt?),

    ich nehme gern, wenn auch mit Bedauern zur Kenntnis, dass auch nach der Meinung Deines indischen Mannes die Bilder dieses Filmes eine differenzierte Darstellung der Realitäten in den Großstadt-Slums sind.

    Deine Fragen sind berechtigt; ich würde mit der indischen Doppelmoral darauf antworten, die ich als mehr oder minder allgegenwärtig empfinde. Kritik ja – aber nur, solange man selber meckert. Wirklich offene Gespräche sind nur mit wenigen intellektuellen Indern möglich, die dann allerdings noch viel gnadenloser mit ihrem Land und seiner Zukunft umgehen als wir. Mir scheint, dass das Selbstbewusstsein, oder: das Selbstwertgefühl vieler Menschen hier eher fragil ist – deshalb ihre große Empfindlichkeit. Das ist schade und führt in vielen Bereichen zu unangemessenen und letztlich hilflos-brutalen Reaktionen, wie oben schon angesprochen. Das ist schade und hilft wenig.

    Slumdog Millionaire wird die Anerkennung bekommen, die er verdient, da bin ich mir sicher. Und vielleicht rückt das die Selbstwahrnehmung ein wenig zurecht, in einem Land, das sich selber feiert, als DIE große Wachstumsnation Asiens: Man, you´ve got a lot to deal with before you can celebrate yourself.

    Ich hoffe, Indien schafft es. Es gibt einige, gebildete Inder, die daran deutliche Zweifel haben. Wir werden sehen.

    LG

    Julia

  4. jules says:

    Hallo Kerstin,

    guck ihn Dir an!

    Ich finde: Ein fantastischer Film, wenn ich auch Teile der ersten Hälfte hinter der Rückenlehne des Vordersitzes verbracht habe, weil ich die Brutalität nicht ausgehalten habe – man muss gut drauf sein, um die Eindrücke wegzustecken, ohne dass sie einen wirklich mitnehmen.

    Aber wie Du schon sagst: Man muss nur die Tageszeitung aufschlagen, um sich seine tägliche Dosis Grauen abzuholen. Gewalt ist hier nicht aussergewöhnlich, leider. Vielleicht fasse ich mal eine Woche davon in einem Post zusammen – ich erinnere mich beispielsweise, dass Eltern ihre Baby-Tochter in ein Becken mit kochendem Wasser gehalten haben, um die Kleine in Anwesenheit und auf Anordnung (!) des Priesters von bösen Geistern zu “reinigen”. Angeblich soll sie es unbeschadet überstanden haben. Quatsch.

    Indien ist voll von solchen Dramen. Zu viele. Und auch mich regen sie auf. Da hilft mir auch kein Bollywood-Kitsch.

    LG

    Julia

  5. Daniela says:

    Der Film ist wirklich sehr schoen, aber definitiv nicht fuer indisches Publikum gedreht. Inder sehen das jeden Tag, das brauchen sie nicht im Kino. Und in indischen Filmen gibt es selten Dreck. Sieht man ja schon beim Trailer fuer Delhi 6: da ist Old Delhi sauber wie geleckt. Nix liegt rum. Das hab ich aber anders erlebt! Und selbst der Fahrradrickshawwallah hat ein bluetenweisses Hemd und ist sauber, dass man meint, er benuetze Fair & Lovely.

    Warum wurde der Film nicht von Indern verfilmt?
    Weil Hollywood schneller war. Amerikanischer hatten die Filmrechte an dem Roman schon gekauft, als Shah Rukh Khan und nochwer, dessen Name ich vergessen habe, sich ueberhaupt erst bei Swarup gemeldet haben. Es liegt also nicht am mangelnden Interesse. Wer zu spaet kommt…. den bestraft Danny Boyle. Allerdings waere Slumdog nicht das, was es ist, wenn Inder es gedreht haetten. Er saeh dann sicher eher aus wie Delhi 6.

    Ich fand den Film sehr, sehr schoen. Aber einen Oscar als bester Film hat er m.E. nicht verdient. Dazu ist er zu…. locker drauf.

    LG
    Daniela

  6. sarangiji says:

    ich werde warten, bis ich den Film im Fernsehen sehen kann. Dauert vielleicht ein paar Jahre. Dann werde ich mit Euch diskutieren.

    Apropos Kind in kochendes Wasser tauchen: es soll Stahlschmelzer geben, die ihre Hand in flüssige Stahlschmelze tauchten und sie unbeschadet wieder rauszogen. Dafür verantwortlich ist das sogenannte Leidenfrost Phänomen: es bildet sich durch die Feuchtigkeit der Haut kurzfristig eine DAmpfschicht um die Hand aus, die relativ schlecht wärmeleitend ist. Also kurzfristig – sehr kurzfristig kann ich mir das vorstellen, vielleicht 1 sec lang. Dann muss die Hand wieder draussen sein.
    Beim Kind im sprudelnden Wasser kann ich mir nur vorstellen, dass eher Magie im Spiel ist.

    LG
    Andreas

  7. anja says:

    also ich werd ihn mir auf jeden fall hier im kino ansehen!

  8. Daniela says:

    @Andreas

    Ich wuerde dir das Kino empfehlen. Als ich ein paar Ausschnitte des Films im Fernsehen sah, hatte die Bilder durch das Kleinformat einfach an Wert verloren. Manche Filme taugen im Fernsehen nur noch halb so viel. 😉

    LG
    Daniela

  9. Bianka says:

    @jules, entschuldige, ich habe deinen Artikel nicht ganz zuende gelesen, als Du etwas vom Schluss geschrieben hast habe ich schnell die Augen geschlossen, denn ich möchte ihn auch noch sehen…
    Als Tipp beim nächten mal vielleicht eine Überschrift: Jetzt zum direkten Inhalt…
    Ansonten hat Dein Artikel und der Trailer richtig Laune auf den Film gemacht.

  10. Teodoraa says:

    @Bianka, der Film wird in Rückblenden erzählt, das Ende ist also am Anfang… und wie alles dann ausgeht, ist nicht so richtig überraschend als dass es zum Spoiler taugt 🙂 Wie heißt es doch so schön… der Weg ist das Ziel…