Traue niemals einem Inder

Wie häufig habe ich die Aussprüche “Traue niemals einem Inder” oder “Inder lügen doch sowieso nur” von den hier lebenden Ausländern schon gehört? Etliche Male. Immer habe ich die Redner belächelt, gelegentlich verachtet, je nach Kontext. Auf jeden Fall habe ich solches Denken immer für bedenklich gehalten, wenn nicht sogar für gefährlich. Mir ist zuviel Selbstgefälligkeit darin und derlei Sprüche erinnern mich zu sehr an das narzististische, mörderische Gedankengut des Dritten Reichs. Generalisierende Vorurteile sind dumm UND gefährlich. Was aber, wenn an ihnen ein Funken Wahrheit ist?

Langsam etabliert sich in mir ein Bild von den Menschen, mit denen ich täglich zu tun habe, das ich gar nicht mag, bis vor wenigen Wochen noch nicht einmal für möglich gehalten hätte: Diese Inder, mit denen ich täglich zu tun habe, und nur von ihnen kann ich mir ein Bild machen, sind opportunistisch, illoyal und unehrlich und nicht einmal clever genug, damit nicht sofort aufzufliegen. Und sie kommunizieren nicht.

Ich kann die Male nicht zählen, in denen mir jemand von Angesicht zu Angesicht versichert hat, er werde sich um eine bestimmte Sache kümmern, mich anrufen oder zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort sein. UND PASSIERT IST JEDESMAL: NICHTS.

Jüngstes Beispiel: Dasharat, unser neuer Fahrer, der Smartie mit Goldring im Ohr, verschwand überraschend aufs Land, Onkel gestorben, Familie weint, großes Begräbnis usw. Damit habe ich kein Problem, natürlich nicht.

Ich habe auch kein Problem damit, dass man mich davon nicht in Kenntnis setzt, sondern einfach am nächsten Morgen ein anderer Fahrer vor der Tür steht. Womit ich aber ein Problem habe, ist, wenn ich Dasharat am Ort der Trauer anrufe und er mir sagt, er sei am nächsten Tag wieder da. Und dann natürlich nicht auftaucht. Ich habe noch ein viel größeres Problem damit, wenn ich Somar zwecks besserer Verständigung in Hindi bei Dasharat erneut anrufen lasse um herauszubekommen, wann er denn wiederzukommen gedenke. Und Dasharat doch glatt zu Somar sagt, dass er mit ihm nicht darüber sprechen werde, sondern mich direkt anriefe, und zwar gleich, INNERHALB DER NÄCHSTEN 5 MINUTEN. Ich warte bis heute auf diesen Anruf, das Telefonat mit Somar ist vier Tage her.

Anderes Beispiel, und zwar nicht aus der Ausländerszene: Somar bekommt einen Anruf von seiner Nichte Wondana, sie habe auf einer Müllkippe (erste Frage: Was tut sie da?) den Gegenwert von unglaublichen 10 Crore Rupien in US-Dollar Bargeld gefunden, ob Somar ihr helfen könne, das Geld bei der Bank einzuwechseln?

10 Crore entsprechen, um das klar zu machen, so ungefähr einer Summe von 1,5 Millionen Euro, das würde Wondana mal schnell in den Geld-Olymp von Pune katapultieren, wenn es denn sauber wäre.

1. Soviel Geld findet niemand, NIEMAND, auf einer Müllkippe in Indien. Jede Mülltüte, die ich vor die Tür stelle, wird SOFORT von den zuständigen Müllabholern mit ihren Handkarren auf verwertbare Gegenstände durchsucht, und durchläuft, entsprechend den Hierarchien, noch mindestens zehn weitere Kontrollen dieser Art, bevor der letzte, wirklich überhaupt nicht mehr zu verkaufende Rest schließlich bei den Ratten auf der Müllkippe landet.

2. Die Story ist glatt gelogen, und zwar belügt hier die Nichte den Onkel, der sie PROTEGIERT, ihr gutbezahlte JOBS beschafft, der mit ihr quasi Blutsbrüderschaft geschlossen hat. Solche Beziehungen sind eigentlich heilig in Indien, denn sie bedeuten bares Geld und Beziehungen, und ohne die bist Du hier Dreck, wenn Du aus der Unterschicht kommst.

3. Wondana ist selbst zu feige, damit zur Bank zu gehen und versucht Somar dazu zu benutzen, damit sie sich nicht die Finger daran verbrennt. Angeblich, weil sie sich damit nicht so auskenne. Entschuldigung, aber wie blöd muss man sein, um das zu glauben?

Abgesehen davon glaube ich ihr auch die Summe von zehn Crore nicht. Nicht gefunden, nicht geklaut, nicht durch irgendwelche “Geschäfte” erwirtschaftet. Das alles ist bullshit. Toll finde ich nur auch, dass diese Frau einen Schlüssel für meine Wohnung besitzt, das beruhigt mich jetzt echt, wenn wir für 14 Tage weg sind!

Drittes und letztes Beispiel: Auch mein bester-Freund-und-Frauenversteher Somar versucht mich zu manipulieren, allerdings auf eine viel subtilere Weise als die anderen. Er versucht mich mit indischen Gepflogenheiten zu packen, die ich nicht einschätzen kann, bei meiner Ehre und der Zuneigung zu seiner Familie. Aber gestern Abend sah ich plötzlich ein ganz anderes Ding in seinen Augen aufflackern, und das Ding heisst GIER. Und ‘Juli-Madam‘ ist der ATM (Randbemerkung: Automatic-Teller-Machine = Geldautomat), oder wie?

Nee, Somar, da musst auch Du früher aufstehen, bei aller Liebe zu Dir und Deiner Familie.

Also, was macht man jetzt mit diesen Erfahrungen? Reiht man sich jetzt auch in die Reihe der Ausländer ein, die keinem Inder trauen und das auch so kommunizieren? Das will ich nicht, schon gar nicht in verallgemeinerter Form. Aber: Ich muss leider anerkennen, dass ich ähnliche Erfahrungen mache, wie die Leute, die sich aus eigener gelebter Erfahrung beschweren. Mal gucken, was die Zukunft so bringt. Schade wäre nur, wenn ich meine Offenheit für dieses Land und seine Menschen verlöre, denn es sind sicher auch ganz großartige, integere Charaktere darunter. Ich müsste nur mal welche treffen.

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One Response to “Traue niemals einem Inder”

  1. Kerstin1301 says:

    Hallo Julia,

    mir geht es nicht nur aehnlich wie Dir oder den anderen Auslaendern, sondern mindest genauso. Auch ich koennte ein Buch darueber schreiben, moechte ich aber nicht. Was ich hier gelernt habe ist, zumindest versuchen, das Gesagte zu hinterfragen (kontrollieren?) und erstmal nicht fuer bare Muenze zu nehmen. Das hat im Gegenzug schon dazu gefuehrt, dass ich bei handwerklichen “Verabredungen” nicht anwesend war, weil ich sowieso nicht daran geglaubt habe, dass er kommt, hi,hi.

    Und vor allem nicht enttaeuscht sein, wenn etwas Versprochenes nicht eingehalten wird, das ist aus meiner Sicht das Wichtigste, denn es ist hier einfach nur normal. Anfangs habe ich auch versucht, mit meiner deutschen Sicht an die Dinge heranzugehen, bin aber immer wieder enttaeuscht worden. Wenn mir heute jemand sagt, dass er mich am Wochenende besucht, dann sag ich nur ja, ich freue mich und gehe trotzdem meiner Wege, denn warten oder hinterher telefonieren tue ich nicht mehr. Meistens kommen sie auch nicht….

    Leider wird man dadurch etwas zynisch, was aus meiner Sicht aber reiner Selbstschutz ist. Denn es liegt nicht an uns, dass die Leute so sind, es liegt an ihnen!! Und sie sind es gewoehnt, machen es untereinander genauso und wundern sich, wenn man sie auf ihre unzuverlaessigkeit (oder Luegen) anspricht. Denn dann gibt es immer mindestens 10.000 Gruende, fuer die sie auf alle Faelle nichts koennen.

    Also Erwartungen runterschrauben, dickes Fell zulegen, dann freut man sich umso mehr, wenn es doch ein paar Andere gibt (und die gibt es durchaus!!).

    LG
    Kerstin