Not for the fainthearted.

“Fahren oder Nicht-Fahren?”, das war die Frage, die mir quengelnd in den Ohren lag, als wir aus den großen Panorama-Scheiben unseres Zimmers die düsteren Regenschleier betrachteten, die die Berggipfel verschluckten und Manali in eisige Dauer-Dämmerung hüllten. Der Wetterbericht, den mir die nette Rezeptionistin aushändigte, versprach jedenfalls nicht Gutes für die kommenden vier Tage: Regen, Regen, Regen. Für die Pässe bedeutete das Schneefall; ein Taxiunternehmer, mit dem wir redeten, sprach sogar von der Sperrung des Highways. Nicht umsonst bedeutet der Name des ersten 4000 Meter hohen Passes, Rohtang-La, wörtlich übersetzt, “Haufen toter Körper”, für die vielen Reisenden, die im Laufe der Jahrhunderte auf den eisigen Höhen des Passes erfroren sind. Da oben bist Du auf Dich gestellt, selbst wenn die Präsenz der indischen Armee während der offiziellen Öffnungszeit des Highways von Mitte Juli bis Mitte September ein Minimum an Sicherheit gewährleistet, indem sie in regelmäßigen Abständen patroullieren und Erdrutsche räumen. Wie wichtig das für uns werden würde, wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

Als wir am nächsten Morgen um vier Uhr unsere müden Glubscher aus dem Fenster steckten, war das erste Mal Himmel zu sehen UND die umliegenden Berggipfel, die schneeweiß im silbrigen Licht des Vollmondes leuchteten. Wo vorher grün war, war es jetzt weiß.

Mir war kalt. Fahren… oder nicht?

Nicht zu fahren war für mich keine Alternative. Es gab eine saugute Pizza in unserem Hotel und auch die niedliche Streunerhündin von nebenan, die sich von mir so gern ihren Welpenbauch streicheln ließ, waren nette Zerstreuungen in dem ansonsten eher schmuddelig-unattraktiven Vorposten der Zivilisation vor den Hängen des Himalaya.

Auch wenn andere Leute Manali zu ihrer Heimat machen. Auf unserem Regenspaziergang durch Alt-Manali hatten wir sie gesehen: Ziemlich heruntergekommene Traveller, die nur aus einem Grund ins Kullu-Tal reisen. Dort gibt es bekanntlich das stärkste Marihuana, Charras oder Cream genannt, und mittlerweile alle anderen Drogen ebenfalls, von Ecstasy über Kokain bis Heroin. Während wir über den glänzend nassen Asphalt liefen und den Bächlein auszuweichen versuchten, die die steilen Gassen herabstürzten, kreisten auf den überdachten Balkonen der kleinen Pensionen die Joints und Shillums und wir wurden von blutunterlaufenen Augen von oben begutachtet. Was als friedlicher Kifferort begann, ist mittlerweile neben den Örtchen Manikaran und Malana im Parvati-Tal Zentrum einer weltweit agierenden Drogenindustrie: Malana-Cream steht auf den “Speisekarten” der Amsterdamer Coffeeshops und gewinnt immer wieder Auszeichnungen, wofür auch immer sie vergeben werden.

Leider hat das zur Folge, dass sich die hiesige Bergbevölkerung von einem bescheidenen, nicht materialistisch orientierten Leben vollkommen abgewandt hat: Der Marihuana-Anbau ist ein Millionen-Geschäft. Mit Siegern und Verlierern: Während der letzten zwanzig Jahre sind mehr als dreißig Traveller auf Nimmer-Wiedersehen im Kullu-Tal verschwunden, manche wurden nachweislich umgebracht, manche “verschwinden” aus freien Stücken, keiner der Dorfbewohner redet, dazu ist das Geschäft zu groß.

Wer keinen Bock auf Drogen hat, hat im Kullu-Tal nicht viel verloren. Also: Weiter.

Wir brachen um sechs Uhr auf. Aber kamen nicht weit: Schon bei der Anfahrt zum Rohtang-La hatte sich eine große Lawine aus Felsbrocken und Erdreich über die Schotterpiste ergossen, Lastwagen und PKW´s stauten sich die Hangstraße hinab, ich kämpfte mit meinem kranken Bauch: Wie lange hält ein Schließmuskel, wenn Du nicht vor aller Inder Augen Number Two im Straßengraben machen willst?

Weiterholpern nach drei Stunden Warten. Dazu muss man sagen, dass trotz der Fürsorge der indischen Armee weite Abschnitte des Highways dirtroad sind, und was für eine: einspurige Schlaglochpisten, die den letzten Teerbelag vor dreißig Jahren gesehen haben und bei denen es vor allem darum geht, den übelsten Untiefen und den scharfkantigsten Geröllbrocken auszuweichen. Das letzte, was man braucht, ist ein geplatzter Reifen oder Achsbruch. Manchmal schaffen wir gerade einmal erbarmungswürdige 15 Kilometer pro Stunde, die Wartezeiten an den verschiedenen Erdrutschen nicht eingerechnet.

Auf dem Rohtang-La dann das erwartete Bild: Tief verschneit liegt der Pass in nassem Weiß, die Transport-Pferdchen der Bauern kauern zusammen mit Hunden und Schafen in der Nähe der Zelt-Dhabas, kleine Imbissbuden in Zelten, die verloren auf dem schmalen Grat des Passes im Schnee stehen. Wir nehmen uns nicht einmal die Zeit ein Foto zu machen: Wir haben schon viel zu lange für die Strecke hoch gebraucht, wir müssen weiter um Jispa, unser Quartier für die Nacht, noch vor Einbruch der Dunkelheit zu erreichen.

Wir werden stundenlang hin- und hergeworfen im Wageninneren, während der Mahindra Scorpio mit der Nase von Schlagloch zu Schlagloch taumelt und manchmal hart aufschlägt, wenn der jeweilige Fahrer die Straße falsch eingeschätzt hat. Subjektiv habe ich keine Angst: Auch wenn die Straße häufig einspurig ist und an tiefen Schluchten entlangführt, gibt es eine Reihe Ausweichmöglichkeiten, falls sich Fahrzeuge begegnen. Allerdings gilt das Ausweichen nicht für indische Truck- und Busfahrer: Auch ohne Führerschein sind sie die Könige der Straße und wer nicht Platz macht, wird zum Platz machen gezwungen: Sie fahren frontal auf uns zu, ohne einen Millimeter auszuweichen. Vielleicht, weil sie nicht fahren können?

Ein Blick in die Abgründe bestätigt diesen Verdacht: Immer wieder sehen wir von den hohen Pisten aus LKW-Wracks zerschellt in den tiefen Schluchten, aus denen niemand mehr lebend herausgekommen ist: Waren es die Bremsen oder ist es der Booze? Egal, das Resultat ist das Gleiche: tote Fahrer und Zivilisationsmüll in den Schluchten, der vermutlich noch in hundert Jahren dort liegen wird. Das trockene Klima des Himalaya konserviert alles. Sogar Lastwagen.

Für die Schönheiten der Natur bleibt wenig Aufmerksamkeit übrig: Zu konzentriert fahren wir, selbst wenn wir nicht am Steuer sitzen, die Strecke mit und lesen die Straße um Bodenwellen, entgegenkommenden Fahrzeugen und Schlaglöchern auszuweichen – was bleibt von diesem Tag sind zerschundene Knochen, der flüchtige Eindruck schneebedeckter Gesteinsbrocken am Wegesrand und die Unwirtlichkeit dieses ersten Streckenabschnitts – kein “Ah!” und “Oh!” ob der Schönheit der Bergwelt – keine hochfliegenden Gedanken, nur Fahren, Fahren, Fahren.

Gegen vier Uhr nachmittags erreichen wir schließlich das 3300 Meter hoch gelegene Jispa, zerschlagen und müde, nicht einmal mehr hungrig. Neun Stunden haben wir gebraucht, obwohl man an sich für diese Strecke nur sechs Stunden benötigt; Erdrutsche sei Dank. Wir checken im Hotel Ibex ein – Freunde hatten es uns empfohlen, Lonely Planet beschreibt es als Luxusunterkunft. Wir betreten das mit rotem Teppich ausgelegte Zimmer und uns schlägt der Gammel entgegen. Und es kalt, verdammt kalt. Das versprochene Warmwasser läuft nicht, wir waschen uns schnell die Hände und das Gesicht und holen die Schlafsäcke aus dem Auto.

Als wir um fünf Uhr am Morgen aufstehen, läuft Kondenswasser die Fensterscheiben herunter und ich messe die Zimmertemperatur: 11 Grad. Nicht viel für einen Frostködel wie mich. Ohne Dusche, Frühstück oder andere Annehmlichkeiten brechen wir auf. Vor uns liegt der längste Abschnitt des Leh-Highways; unter guten Bedingungen schafft man ihn in 12 bis 14 Stunden.

Und was dann kommt, ist das beeindruckendste Stück Natur, was ich je in meinem Leben gesehen habe.

PS: Die Bilder öffnen sich bei Doppelklick auf eine etwas aussagefähigere Größe.

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5 Responses to “Not for the fainthearted.”

  1. Steffi says:

    Hallo Julia,

    ist das aufregend! Das wäre ja so gar nichts für mich.
    Ich hoffe, das was noch kommt, macht das, was war, wieder gut und bin schon sehr gespannt!

    Liebe Grüße,
    Steffi

  2. Falk says:

    Hey Julia,

    schön, dass unser Auto das noch mal sehen durfte, bevor ich ihm nächsten Monat den Gnadenstoß gebe. 🙂
    Der Schweineimer hat seine Qualitäten. Aber halt nicht in Pune City und 800 km Umkreis.

    Liebe Grüße

    Falk

  3. Tami says:

    Sensationell geniale Fotos *schwaerm*

    Wir sitzen hier bei einem realfeel von ~ 50 Grad 🙁

    Habt ihr nach 4000 Metern w.o gegeben oder war der Plan die 4000 zu erreichen?

  4. jules says:

    @ Falk: Der “Schweineeimer”, wie Du Dich ein wenig uncharmant ausdrückst, hatte durchaus seine Qualitäten – auch wenn ihm bei über 3500 Metern manchmal die Puste ausging, ein bisschen schwachbrüstig, der Kleine… aber Gold wert, da oben in den Bergen. Vielen Dank, dass wir ihn haben durften, die Tour wäre ohne ihn so nicht machbar gewesen!

    LG zurück!

    Julia

    @ Tami: Vielen Dank für Dein Lob! Aber wir sind weitergefahren, auf über 5600 Meter – den zweithöchsten, überhaupt befahrbaren Pass, Tanglang-La. Bilder und Beschreibung gibt´s morgen – endlich funktioniert der uploader wieder.

    LG

    Julia

  5. Daniela says:

    Nie langweilig in Indien, nicht mal im abgelegenen Bergdorf. 😉
    Da bin ich ja mal gespannt, wie es weitergeht.

    LG
    Daniela