Kalu – der Hund mit (mindestens) zwei Leben

ein Ridgeback-Mix-Welpe liegt auf dem Rasen mit einem Turnschuh als Beute

Kalu ist ein Hund mit vielen Leben, soviel steht fest. Und die braucht er auch, weil erstens: Indien ein gefährliches Land für kleine Hunde ist und zweitens: Er eine zu vertrauensselige Halterin hat, die mal ordentlich eine gewischt bekommen müsste, zum Aufwachen. Mein Gott, wie blöd muss man sein?

Aber nun zu dem, was am Morgen des 14. Januars passierte, der Tag, der bei uns als Kalu´s zweiter Geburtstag in die Familiengeschichte eingehen wird:

Es gibt nur wenige Momente im Leben, in denen man Todesangst hat. In denen die Zeit stillsteht und man alles wie in einem Film erlebt, in dem sich die Sekunden dehnen und zu Momenten des Grauens werden, weil Du weißt, dass etwas Schreckliches geschieht und Du kannst nichts, gar nichts tun, um die Dinge abzuwenden. Du stehst daneben und schreist, schreist aus vollem Halse, und Deine Hilflosigkeit lässt Dich wie ein Ertrinkender nach Luft schnappen und dann rennst Du, noch immer schreiend, und hilflos, bis Deine Beine versagen und alles, was Du tun kannst ist, auf einen guten Ausgang zu hoffen, against all odds.

Vor drei Tagen war ein solcher Moment: Vor drei Tagen lief Kalu auf der Flucht vor einer kläffenden Meute Streuner seitlich in ein heran rasendes Motorrad, wurde weggeschleudert, kam wieder auf die Pfoten, rannte, rannte laut jaulend die lange Allee hinunter, ich schreiend hinterher, KALU!, KALU!, KALUUU! bis ich nicht mehr konnte und mitansehen musste, wie Kalu kopflos in die nächste attackierende Meute flüchtete und zweihundert Meter weiter um die Ecke verschwand – auf nimmer Wiedersehen?

Horrorbilder flackerten durch meinen Kopf: Kalu blutend in irgendeiner Ecke der Stadt, allein, verletzt. Ich suchend, die ganze Gegend durchkämmend, jede Straße, jeden Winkel auf der Suche nach meinem Kalu, meinem Hund, meinem Schutzbefohlenen, verlassen, sterbend?

Und dann die Schuld: Alles war meine Schuld gewesen, ich hatte ihn nur kurz an der Baustelle nebenan von der Leine gelassen, damit er mit Ma spielen konnte, aber dann kamen die anderen Streuner, Kalu scheute und dann… Es hatte richtig gekracht. Das Moped war weitergefahren, dem Fahrer war also nichts passiert. Aber Kalu? Es war fürchterlich.

Ich hätte Kalu vermutlich nie wiedergefunden, wenn er nicht durch den zweiten Eingang unserer Society nach Hause gelaufen wäre. Dort fand ich ihn zitternd vor der Tür, in den Armen unseres Gärtners Jothiba. Er war da! Und er war bis auf einige Abschürfungen und Prellungen äußerlich einigermaßen heil! Soweit ich sehen konnte war nichts gebrochen. Trotzdem: Sofort zum Arzt. Aber: Er hinkte zum Wasserbecken. Er trank! Ich ließ ihn nicht aus den Augen, beobachtete ihn genau auf Schockreaktionen. Hatte er innere Verletzungen? Als er nach einer halben Stunde sogar anfing zu fressen, war ich einigermaßen beruhigt. Ich legte mich neben ihm auf den Boden. Sollte er den Unfall und die anschließende Hatz etwa mehr oder minder unverletzt überstanden haben?

Jetzt, drei Tage später, kann ich sagen: Ja, er hat alles gut überstanden. Nur ich noch nicht. Mir sitzt der Schreck noch tief in den Knochen, ich hatte solche Angst, solch wahnsinnige Angst um ihn.

Seitdem sind wir nur noch auf dem Militärgelände unterwegs, Diggy Mountain. Aber auch das ist, wie vermutet, nicht ganz ohne: Dort hat Kalu gestern Bekanntschaft mit einer Kobra gemacht, glücklicherweise keine allzu nahe. Aber das ist eine andere Geschichte.

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8 Responses to “Kalu – der Hund mit (mindestens) zwei Leben”

  1. Steffi says:

    Puh, was für ein Glück! Und was für eine Lehre.
    Ich glaube, wir alle werden hin und wieder unvorsichtig und werden dann mehr oder weniger vorsichtig mal wieder auf den Boden der Tatsachen zurück geholt. Ich hab das mit Lea auch schon erlebt – bzw. sie mit mir.
    Ich glaub, das ist das Leben.

    Ich drück Dich und Du gib bitte einen Knuddler an Kalu weiter! 🙂

  2. jules says:

    Mann, Steffi,

    ich hab mich immer noch nicht erholt – selten hab ich mich in meinem -durchaus schmerzreichen- Leben so ohnmächtig gefühlt, wie in diesen langen Minuten.
    Und selten wird einem so bewusst, wie kostbar der andere ist, mag es Mann sein, Kind oder Hund.
    Ja, es war ein unglaubliches Glück und eine unglaubliche Dummheit von mir und ich danke, danke, danke dem Schicksal, dass Kalu leben darf.

    Gerade jetzt liegt er in seinem Korb und weint mal wieder und ich weiß nicht, was ihm fehlt. Dieser Hund stellt mich ständig vor unlösbare Rätsel und ich hoffe, dass ich irgendwann einmal das Gefühl habe, dass er auf der sicheren Seite ist. Ich hab ihn so lieb.

    Ich knuddel ihn von Dir, sicher.

    Julia

  3. sarangiji says:

    Hoffentlich hat er nichts zurückbehalten und es sind nur die schlimmen Erinnerungen, die ihn im Schlaf weinen lassen. Was für schreckliche Minuten! Da hast Du aber Glück gehabt, dass er zurückgefunden hat, wo Du ihn doch noch gar nicht so lange hast.
    Die Tiere müssen auch selber lernen vorsichtig zu sein auf der Straße. Ich denke das oft, wenn ich morgens auf dem weg zum Bahnhof einer Katze auf der Straße begegne. Sie scheint den Verkehr zu kennen und seine Gefahren.

    Jedenfalls: Glück gehabt. Was Du aber auch alles so erlebst mit Deinen Hunden!

    LG
    Andreas

  4. Steffi says:

    Er wird bestimmt ein paar Prellungen zurück behalten haben.
    Falls Du es da hast, gib ihm doch ein paar Traumeel Tropfen oder Globuli über ein paar Tage.

    Gute Besserung, dem kleinen Glückskind. 🙂

  5. Kerstin says:

    Liebe Genesungsgruesse von mir an den Glueckspilz. Und das naechste Mal entweder nur mit Leine oder in einem sicheren Gebiet laufen, ok?

    Auf der anderen Seite hat Andreas recht, er muss sich an den Strassenverkehr auch irgendwie gewoehnen. Wenn ich immer sehe, dass die Hunde hier in Bangalore mitten auf der Strasse oder dem Gehweg liegen und schlafen, wird mir immer ganz mulmig. Aber sie scheinen keine Angst zu haben, wissen wahrscheinlich instinktiv, wann wirkliche Gefahr droht. Aber ungemuetlich ist es doch auf alle Faelle….

    LG
    Kerstin

  6. Daniela says:

    Was fuer eine monstroese Portion er da hatte! SChoen, dass ihm nichts passiert ist. Ich hoffe nur, dir geht es inzwischen etwas besser?

    Davon mal abgesehen ist das ein wirklich umwerfendes Bild von Kalu!

    LG
    Daniela

  7. jules says:

    Danke für Eure Anteilnahme und Genesungswünsche!

    Aber wie Ihr an meinem nächsten Post seht, haben wir schon wieder ein neues Problem, und kein kleines.

    Aber: Ich werde werde alles in meiner Macht stehende tun, um Kalu auch über diesen Berg zu bringen – entschuldigt meine ungehobelte Sprache, aber: “Fuck, man, we´ll fight!”

    Er ist ein toller Hund, und nicht nur, weil er nett aussieht, sondern weil er ein fantastisches Wesen hat, er ist kommunikativ, wie Assai es nie war: Er sieht Dir direkt in die Augen, immer, beobachtet genau, bemerkt jede Nuance meines Verhaltens und macht ganz deutlich, was er möchte. Ich habe schon immer Hunde gehabt, aber Kalu ist etwas Besonderes: He talks.

    Und ich werde ihn nicht so einfach aufgeben. Wir kämpfen. Und wenn wir Glück haben, schaffen wir es.

    Liebe Grüße
    Julia

  8. tomX says:

    Kalu wird acht Leben brauchen, um Euch dauerhaft zu begleiten. Sieben bringt er von Geburt an mit. Das Achte Julia, das gibst Du ihm!