Lassen wir Indien doch mal ein wenig in Ruhe und werfen einen Blick in das diesseits so geliebte Pakistan, was mit Nachrichten Furore macht, die mich als Frau alle mal mehr aufregen als die hiesigen Verkehrsverhältnisse:
Dass Pakistan nicht gerade als Ausbund an Gleichberechtigungsbestrebungen gilt, ist vermutlich allen hinlänglich bekannt. Dass die Taliban einen Kreuzzug gegen Bildung für Mädchen führen und ihnen am liebsten die Schule verbieten würden, wahrscheinlich auch.
Nun aber macht die reaktionäre Haltung der Taliban nicht einmal mehr vor einem so sakrosankten Institut wie der Ehe halt: Die über Lautsprecherdurchsagen aus Moscheen gesteuerte und als “force-marriage campaign” bezeichnete Kampagne der Taliban fordert in weiten Teilen der North-West-Frontier-Province (NWFP), die Zwangsheirat von Töchtern im heiratsfähigen Alter mit militanten Taliban – andernfalls drohen ‘dire consequences‘, schreckliche Folgen. Und zwar für Töchter wie für Eltern.
Eltern müssen nun in den Moscheen Erklärungen über Alter und Geschlecht ihrer Kinder abgeben, so dass alle heiratsfähigen Mädchen einkassiert werden können, freiwillig oder erzwungenermaßen.
Außerdem drohen drakonische Strafen auch den jungen Frauen, die sich in Zukunft allein aus dem Haus trauen, denn auch das ist jetzt verboten: Ausgang nur noch mit Personalausweis als Altersnachweis und einem männlichen Verwandten, sonst droht laut Times of India (TOI) allen Mädchen, die älter als SIEBEN JAHRE sind, der Tod. Ebenso sind junge Ehepaare von den Drohungen betroffen: Auch sie können hart bestraft werden, wenn sie ohne das den Eheschluss beweisende Heiratszeugnis auf der Straße angetroffen werden.
Alles noch normal da oben? Meinen die das etwa ernst ?
Wenn es sich bei dem Artikel der TOI nicht um eine Zeitungsente handelt, und das befürchte ich fast, kann sich das liberale Indien, ja: LIBERALE Indien, und ja: das GEBILDETE Indien, warm anziehen – soviel Fanatismus, Engstirnigkeit, Tyrannei und Dummheit sind keine gute Grundlage, um überhaupt politische Gespräche führen zu können. Armes Indien. Arme Welt.
Ach, und noch etwas: Die Analphabetenrate in der NWFP für Männer liegt bei 49%, für Frauen bei 81%. Und dass sich das nicht ändert, dafür sorgen schon die Taliban. Zumindest bei den Frauen. Habt Ihr was hinzuzufügen?
Tags: force-marriage campaign, Pakistan, Taliban
Heftig, heftig! Was bin ich froh, in unserem fortschrittlichen Land leben zu dürfen. Auch wenn mir selbst hier manch einer vorkommt wie kürzlich dem Mittelalter entlaufen.
Unfassbar, was da passiert. Und unfassbar, daß man nichts dagegen tun kann. Wenn man es täte und tun könnte, dann wirft das ja wieder die Frage auf, ob man nicht mit zu fremden Maßstäben schaut und handelt, ob sich “der Westen” wieder einmal ungefragt und bar jedes Maßes in Dinge einmischt, die ihn nichts angehen. Andererseits: welches Leid wird dadurch verursacht! Und geht Leid nicht uns alle etwas an?
Schwierige Geschichte.
P.S.: Ganz anderes Thema: ich hab Dich jetzt auf meiner neuen HP verlinkt. 😉
Jesus, kann ich da nur sagen. Ich habe ein paar Buecher ueber Afghanistan gelesen und dort wurde dies vor ein paar Jahren genauso durchexerziert. Unglaublich, dass es sowas auf der Welt gibt.
Und Du hast recht, da wird es schwer, sehr schwer fuer Indien, liberale Gespraeche ueber Frieden, Gebiete usw. zu fuehren (von Mumbai will ich gar nicht reden). Denn bei Fanatismus bleibt der Geist/Kopf in der Moschee (oder sonstwo), ist also leider nicht da, wo er hingehoert.
Einmischen? Gute Frage. Ich traeume von einer Welt, in der jedes Land nach seiner Fasson leben kann, den anderen Laendern aber dabei nicht auf die Nerven geht und sie wegen ihrer Andersartigkeit auch nicht verurteilt oder gar angreift. Das wird wohl auf ewig ein Traum bleiben….
LG
Kerstin
“Ich traeume von einer Welt, in der jedes Land nach seiner Fasson leben kann, den anderen Laendern aber dabei nicht auf die Nerven geht und sie wegen ihrer Andersartigkeit auch nicht verurteilt oder gar angreift. Das wird wohl auf ewig ein Traum bleiben….”
Stimmt, nur was, wenn Lebewesen darunter leiden müssen.
Andererseits: wie viel Leid fügen wir anderen Lebewesen zu und wie würden wir es finden, wenn sich ein anderes Land da einmischen würde.
Ist halt echt eine schwierige Geschichte. Vielleicht sind wir dafür einfach zu viele Menschen auf dieser kleinen Welt.
Ja, wirklich schwieriges Thema, Stefanie. Ich bin immer hin- und hergerissen zwischen zuviel und zu wenig oder gar keiner Einmischung. Den goldenen Mittelweg gibt es wahrscheinlich wie immer mal wieder nicht….
Ich kann nur dankbar sein, dass ich aus einem Land komme, das mir alles, aber auch wirklich alles ermoeglicht hat. Dafuer kann ich nichts, es war reines Glueck, es haette genauso gut anders kommen koennen…
Ich habe noch einen Traum: Frieden auf Erden und das Ende allen Leids, wohl eher auch ein Wunschtraum.
Oh Mann, dass der Islam immer für jeden Mist pervertiert werden kann… Ich habe vor kurzem den Film “The Beast” gesehen, über die Zeit als die Sowjets Afghanistan besetzten. Frauen und Männer kämpften zusammen um das Ziel “Sowjets raus” zu erreichen… (okay, im Film wurden die Frauen teilweise als wahnsinnige Mörderinnen porträtiert, aber es wurde auch erklärt warum sie wahnsinnig wurden… sie waren jedenfalls nahezu gleichberechtigt.. was ist seitdem passiert? Die Taliban kamen einst als Befreier…und wo kommt nun dieser Hass auf Frauen her und diese irrsinnige Auslegung von Religion, die weder etwas mit dem Koran noch mit islamischer Rechtsprechung zu tun hat? Mögen die Damen der existierenden weiblich-muslimischen Untergrundmilitäreinheiten ihren aufgezwungenen Ehemännern einen schönen handgeschmiedeten arabischen Dolch in den **** stechen… Aber andererseits… solange Zwangsheiraten in Berlin und Köln genauso vorkommen können wie in Islamabad, wie weit sollte man sich da aus dem Fenster lehnen…? Liebe Grüße aus dem kanadischen Schneesturm, Thea
Ja, es ist ziemlich unglaublich, was heute immer noch passiert: Wie weit sind wir von der Barbarei und dem Faustrecht des Mittelalters entfernt, oder von dem Terror eines Nazi-Regimes?
Ich fasse mir immer wieder an den Kopf und frage mich: Ist dies das 21. Jahrhundert? Haben die Menschen so wenig gelernt?
Was muss noch geschehen, damit “Mensch” einsieht, dass Toleranz, Verständnis, Dialog und Mitgefühl unerlässlich für das Überleben aller Völker auf der Erde sind? Und nicht Unterdrückung, Zwang, Gewalt die Mittel der Wahl?
Dennoch handeln viele Menschen aus ganz anderen Motivationen, gesteuert von ihrer Gier, vom Hass auf Andersdenkende, und in gnadenloser Verkennung ihrer eigenen Selbstherrlichkeit.
Fanatismus, in welcher Ausprägung auch immer, ist ein großes Problem und ein großer, wenn nicht DER Faktor bei der Entstehung von Terror. Nur ein Fanatiker kann so überzeugt von seinen Glaubenssätzen sein, dass er bereit ist, sich und andere für diesen Glauben (oder: seine Geisteskrankheit) in die Luft zu sprengen. Wie Teodoraa schon sagt: Die Pervertierung des Islam. Aber das haben wir ja in Europa mit der Inquisition und den Kreuzzügen auch schon hinbekommen. Nur das ist eben auch schon ein paar Jahrhunderte her und wird sich beim derzeitigen Bildungs- und Aufklärungsstand sicher nicht wiederholen.
Schlimm ist auch, dass das in NWFP flächendeckend so gehandhabt wird/werden soll: Es handelt sich eben nicht um ein dramatisches Einzelschicksal, wie in Berlin oder Köln, sondern da werden die Menschen und insbesondere die Frauen eines ganzen Staatsteils (immerhin hat NWFP rund 18 Millionen Einwohner) massiv psychisch und physisch bedroht. Und, sollten diese Zwangsehen stattfinden, legal massenvergewaltigt. Lebenslang.
Bezeichnend finde ich auch, dass die NWFP der Staatsteil Pakistans mit der größten Wachtumsrate ist: Klar, wer nicht lesen kann, hat abends Langeweile, vor allem wenn das Saufen verboten ist, und produziert weiter fleissig rotznäsige Analphabeten. Die sich, wenn politisch/religiös entsprechend indoktriniert, dann bei erster Gelegenheit in die Luft sprengen…Mein Gott, wo sind wir da gelandet?
Mittelalter, ich sag´s Euch.
@ Steffi: Freu mich über Deinen Link und Deine Kommentare!
Verlinke bei Gelegenheit zurück, falls ich noch ne Blogroll mit Hundeseiten aufmache 😉
Zum Thema Einmischung: Schön fände ich, wenn es weltweit und einheitlich einen Ethik-Codex geben würde, eine Welt-Verfassung sozusagen, in der sich die Länder zu der Einhaltung von zumindest einem Minimum an Menschenrechten, Umwelt-und Tierschutz verpflichten. In Europa stricken wir ja gerade daran. Leicht ist das sicher nicht.
Ich glaube aber, wir werden eh nicht umhin können, im Zuge der Globalisierung auch immer globaler Verantwortung zu übernehmen – entweder die Staaten begreifen, dass wir alle in einem Boot sitzen oder wir gehen, langfristig gesehen, unter: Das sieht man bei der Klimaschutzdiskussion, bei der Ressourcen-Knappheit, bei der Überbevölkerungsproblematik. Es muss, langfristig gesehen, eine Lösung gefunden werden, die für alle gilt; sonst hat dieser Planet kaum eine Chance.
Ganz liebe Grüße nach BS, friert nicht zu sehr,
J.
schlimm, wirklich ganz schlimm diese verhältnisse…
allerdings finde ich, dass man die von den taliban beherrschten stammesprovinzen und (ganz) pakistan nicht in einen topf werfen sollte – bei deinem post ensteht für mich ein bisschen der eindruck.
wenn indien seine streitkräfte an der grenze verstärkt, tut dies auch pakistan. das ergebnis ist ein noch größerer einfluss der taliban, weil die armee an der grenze zu afghanistan fehlt.
ich kann mir indiens politik nicht anders erklären, als dass pakistan mit diesem schritt geschwächt werden soll. gleichzeitig bedeutet es aber auch, dass indien eine talibanisierung der region (mit all den von dir oben beschriebenen unmenschlichen konsequenzen) in kauf nimmt.
ich möchte damit nicht für pakistan partei ergreifen. das land hat jahrelang terrorgruppen unterstützt, die in indien angst und schrecken verbreitet haben. nur scheinen mir beide länder auf gleicher höhe, wenn es um naivität, politische kurzsichtigkeit und uneinsichtigkeit geht. wenn zwei sich streiten, freut sich der dritte. das sind in diesem fall die taliban.
Hallo Florian,
ja, das stimmt: Man sollte Pakistan und die von den Taliban beherrschten Provinzen nicht in einen Topf werfen. Darauf habe ich, denke ich, auch hingewiesen: Ich sprach nur von der NWFP.
Eines sollte man aber auch bedenken: Immerhin hat diese Provinz 18 MILLIONEN Einwohner =18 MILLIONEN Betroffene. Das ist ein fast ein Viertel der Einwohner der Bundesrepublik. Und immerhin ein Achtel der Gesamtbevölkerung Pakistans. Unterirdisch.
LG
Julia
Ja Florian, da hast Du mit Sicherheit recht, das ist auch meine Meinung. Deshalb war ich nach Mumbai der Meinung, Indien solle auf keinen Fall angreifen, sondern an Gespraeche denken. Gewalt erzeugt immer Gegengewalt und so hoert dies nie auf (wie man ja in Israel zur Zeit gut beobachten kann).
Leider herrscht hier in Indien die Meinung, Pakistan habe ja mit allem angefangen und wieso solle man immer ruhig bleiben. Das ist natuerlich auch eine Einstellung, die aber genau zum oben genannten fuehrt, was hier wohl die wenigsten Menschen verstehen (wollen).
Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg, andere Voelker auf dieser Welt haben dies bewiesen, auch wenn’s schwer faellt und man das Gefuehl hat, “das Gesicht zu verlieren”. Darauf kann ich persoenlich gut verzichten, wenn dies Frieden und Ruhe am Ende bedeutet.
LG
Kerstin
Ich wohne dort – von dem was du da schreibst habe ich aber noch nichts gehört. Es dürfte sich wohl um eine Zeitungsente handeln. Indien macht mal wieder Sturm auf Pakistan.