Häuser für Arme, oder: Das Ende der Slums?

Ausgangssituation: Millionen von einkommensschwachen Angestellten wie Hausmädchen, Putzhilfen, Sicherheitskräften und Straßenkehrer haben in den Innenstädten und nahe ihren Arbeitsplätzen kein Zuhause, jedenfalls kein legales. Bislang.

Das jedoch könnte sich bald ändern, zumindest wenn es nach dem Willen von Mr. Kumari Selja geht, seines Zeichens Union Housing Minister: 40 Städte sind bislang seinem Vorschlag gefolgt, adäquate und legale Wohnflächen in den Flächennutzungsplänen für einkommensschwache Bevölkerungsgruppen in der Nähe ihrer Arbeitsplätze schaffen zu wollen. Bis zu 25 % aller erschlossenen Flächen sollen in Zukunft für EWS-und LIG-Angehörige (EWS: Economically Weaker Section; LIG: Low Income Group) bereitgestellt werden. Und, wenn es nach dem Willen von Selja geht, nicht nur auf öffentlichem Land: Auch private Investoren sollen zur Rücksichtnahme verdonnert werden; laut TOI sollen auch in Delhi 20-25 % ALLER Flächen für Wohnprojekte diesen Bevölkerungsgruppen zur Verfügung gestellt werden.

Und das ist dringend notwendig: Geschätzte 80 MILLIONEN (2005/06) Menschen sind in Indien von dem Wohndilemma betroffen und finden keinen Platz in den Städten, sondern sind gezwungen, sich an den Stadträndern illegal niederzulassen.

Eine Anekdote am Rande: In Kalkutta sprach ich mit einem Radiojournalisten, den ich zufällig auf der Straße (passenderweise: wo auch sonst?) kennenlernte. Er sagte, dass die Einwohner von Kalkutta einen scherzhaften Ausdruck für die vielen Pendler hätten, die täglich mit dem Zug ihre lange Fahrt zum Arbeitsplatz antreten würden: Diese Züge werden “Gee-Trains” genannt, “maid-trains”, nach dem bengalischen Wort für Hausangestellte: Immerhin 5 Millionen (!) Pendler fahren täglich zur Arbeit nach Kalkutta – viele von ihnen mehrere Stunden lang.

Unterdessen hat das Housing Ministry Zahlen über den Bedarf bekannt gegeben: Danach fehlt es indienweit derzeit an 24, 71 Millionen Wohneinheiten – Tendenz: steigend.

Pune hat sich dem Vorhaben von Selja angeschlossen und wird 20 % aller Entwicklungsflächen im Flächennutzungsplan für Sozialbauten zur Verfügung stellen – Allerdings ist das bislang nur eine Absichtserklärung. Konkrete Daten und Projekte: Unbekannt.

Problem erkannt, Problem gebannt?

Wir werden sehen.

PS: Von Somar gibt es bislang nichts Neues: Das Militär hat sich bislang nicht wieder gerührt – wir harren der Dinge, die da kommen.

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4 Responses to “Häuser für Arme, oder: Das Ende der Slums?”

  1. Kerstin says:

    Wenn dies auch wahrscheinlich Somar kurzfristig nicht helfen wird, aber das ist doch mal ein Schritt in die richtige Richtung, wie ich meine.

    Ich hatte ja schon zu bekanntem Thema gesagt, dass sie es sich sicherlich nicht aussuchen, in diesem “Ambiente” und dann noch illegal wohnen zu muessen, ihr geringes (oder gar kein) Einkommen zwingt sie gewissermassen dazu. Und ich bleibe dabei, wenn sie die Chance auf Bildung und damit einen Job mit hoehrer Bezahlung haetten, wuerden sie sich sicherlich ein anderes Leben aussuchen (koennen). Denn dass sie mit “einem kleinen Reichtum” so wohnen wollen, bezweifliche ich stark.

    Zumindest tut sich was im Staate Indien, gelle?

    LG
    Kerstin

  2. jules says:

    Hallo Kerstin,

    ja, da hast Du sicher recht. Das sieht man schon daran, dass Somar einen nicht unerheblichen Anteil seines Gehalts dafür ausgibt, seine Tochter auf eine nicht-staatliche “English-Medium” Highschool zu schicken: Sie soll es einmal besser haben, wie man in Deutschland so schön zu sagen pflegte.

    Ja, Problembewusstein ist hier, glaube ich, schon vorhanden, aber es ist, wie Andreas richtig bemerkte: Der Streitwagen wird von vielen Lenkern beherrscht, die Pferde ziehen in verschiedene Richtungen, deshalb kommt häufig selbst bei guten Ansätzen nichts dabei heraus.

    Schönes Wochenende nach Bangalore!

    LG

    Julia

  3. sarangiji says:

    Ganz klar ist mir das ja nicht: 25% aller erschlossenen Flächen für LIG und EWS – wie ist das vorstellbar?
    Soll das housing gebaut werden mit geringerem Standard, so dass diese Gruppen sich das leisten können? Wer baut und vermietet an diese Gruppen, wenn er nicht sicher sein kann, seine Investition wieder rauszubekommen – und nicht nur Miese zu machen? Diese Quotenregelung scheint gut gemeint zu sein, aber ob das umsetzbar ist?

    Gibt es in Indien auch sog. Mietnomaden, die so tun als ob sie genug verdienen und dann die Miete nicht bezahlen, viel trouble machen und irgendwann dann unter Druck doch noch ausziehen, nachdem sie die Einrichtung verdreckt und verfeuert haben (Miehtheuschrecken) und einen Haufen Abfall zurücklassen? Da die Personenregistrierung solcher Personen (ohne Telefonanschluss) sicher sehr dürftig ist, kann man sie danach auch nicht zur Rechenschaft ziehen.
    Wenn mit sowas in Indien zu rechnen ist, wer soll dann an dieses mögliche Klientel vermieten – kaufen können die wahrscheinlich soundso nicht.
    Indien scheint ein fable zu haben für Quotenregelungen.

    LG
    Andreas

  4. Kerstin says:

    Ich glaube schon, dass dies funktionieren kann, setzt allerdings ein gewisses soziales Denken voraus. Und Quotenregelungen gab es ja in Deutschland auch zur Genuege, bis sich alles “von selber geregelt” hatte.

    In den fuenfziger Jahren wurden in Ost und West auch sogenannte “Arbeiterviertel” gebaut, die relativ billig waren und dazu dienten, einem gewissen Bevoelkerungsteil billige Wohnungen zur Verfuegung zu stellen.
    Es gab auch Wohnberechtigungsscheine, anhand derer man nachweisen musste, dass man berechtigt war, zu billigerer Miete wohnen zu duerfen. So weit ich mich erinnere, hat der Staat die Differenz uebernommen, so dass die Vermieter (meist waren es ja Wohnungsbaugesellschaften) nicht die fianziellen “Dummen” waren. Ob sowas hier denkbar ist, glaube ich nicht ernsthaft, aber auch in Deutschland gibt’s noch heute Viertel, in denen der Komfort und damit die Mieten sehr niedrig sind. Sozialwohnungen sind ja letztendlich dasselbe Konzept, Wohnungen fuer Gering(st)verdienende.

    Und mit Sicherheit wird an einigem Komfort gespart, z. B. Dieselgeneratoren bei Stromausfall, Fahrstuehlen, Sicherheitspersonal, Groesse und Qualitaet der Wohnung, nur ein Bad usw. (oder ein Klo pro Etage, sowas gab es in Ostdeutschland). Ich denke, da ist der Phantasie nach unten keine Grenze gesetzt, wenn man mal die Slum-Huetten oder Zelte gesehen hat. Denn schlimmer als dies geht’s wohl nimmer.

    Ich frage mich nur, wie das dann mit Deposit geregelt werden soll. In Indien ist es ueblich, dass man als Kaution 10 Monatsmieten im voraus zahlt (ohne Verzinsung seitens des Vermieters). Das ginge dann mit Sicherheit nicht, schaetze ich.

    Das mit den Mietnomaden weiss ich nicht, scheint mir eher ein Ergebnis der westlichen Welt zu sein.

    LG
    Kerstin