Where a cold wind blows…

Deutschland, um die Null Grad, kalte, saubere Luft. Straßen, über die weder Hühner, Büffel, Kühe, Ziegen, Schafe und Hunde laufen, noch fünfspuriger Verkehr auf einer zweispurigen Straße, alles läuft geordnet, die Fahrzeuge auf der Autobahn sind alle bemerkenswert neu, sauber und groß, kein Mensch kackt an den Straßenrand (und schläft dort auch nicht) und es ist merkwürdig still hier.

Meine Seele hängt noch irgendwo zwischen indischem Chaos/indischer Lebendigkeit und den Eindrücken, die am Fenster des Audis vorbeifliegen: Kahle Birkenhaine im winterlich-fahlen Morgenlicht, leere Felder über deren Senken sich Nebel sammelt, ein einsamer Falke auf einem Zaunpfahl an der Autobahn, eine Gruppe Rehe, die vor einem Nadelwaldstreifen äst – wir sind zurück in good old Germany, das sich nicht verändert.

Nach einer heißen Dusche im Hotel sind wir bereit, uns den deutschen Realitäten zu stellen: Wir haben mehrere Ärzte-Besuche auf dem Programm, ein Check, der mir ziemliche Magenschmerzen bereitet, weil ich nicht weiß, ob ich einen Tumor habe und alles muss schnell gehen. Tut es dann auch: Seit heute Nachmittag weiß ich, dass es vermutlich nicht so ist und mir fällt ein Stein vom Herzen.

Nun zu Kalu:

Gestern morgen war noch einmal der Tierarzt da, weil wir einige Staupe-Symptome bei ihm festgestellt haben: Vor allem war da diese Lichtempfindlichkeit, gekoppelt mit fast vollständig geschlossenen Augen und hochgezogenen inneren Lidern, die uns sehr merkwürdig vorkam – er bekam die Augen nicht mehr auf. Rote Bläschen am Bauch und Durchfall – klassische Symptome. Ich war fertig. Dann aber der Test: Negativ!

Das ist schon einmal toll, schließt jedoch leider eine Infektion mit dem Virus nicht gänzlich aus; es kann sich in einer schlummernden Phase befinden. Trotzdem: Erst einmal dürfen wir davon ausgehen, dass er keine Staupe hat. Angesehen davon hat der Kleine schon zwei Kilo in der einen Woche zugelegt und seit dem Antibiotikum auch endlich keinen Durchfall mehr. Klasse!

Gestern Nachmittag habe ich ihn dann schweren Herzens bei seiner indischen Adoptivfamilie abgeliefert und mich dabei richtig zum Affen gemacht: Ich stürmte in Mayurs fremde Küche, mit im Gepäck: Ca. 8 Kilo gekochte Huhn-Leber-Reis-Mischung, in Portionsbeutel verpackt, tiefgefroren; packte alles unter Mayurs verblüfften Augen in den Freezer, stammelte den Inhalt meiner sorgfältig geschriebenen Checklist für Kalu herunter (eyedrops: “4 drops three times daily; liverol: two teaspoons twice daily”-in emergencies call Dr. Pardeshi…) und versuchte, im Stakkato meine Vorstellung vom Umgang mit dem kleinen Scheißer zu vermitteln.

Doch das ging gründlich in die Hose. Ein Beispiel: Ich hatte extra Hühnchen-Würstchen eingepackt, in die Mayur die Antibiotika-Tabletten packen sollte, damit Kalu sie auch frisst. Aber, natürlich, fraß Kalu sie nicht in der ungewohnten Umgebung, sondern spuckte sie aus. Auch beim zweiten Versuch. Mayur grinste und griff sich Kalu´s Schnauze, presste sie auf und stopfte die Tablette ziemlich brutal tief hinten in den Rachen: Kalu schniefte beleidigt und schluckte. Mayur strahlte: “That´s what I learnt from a german guy! That is, how you´re supposed to give tablets to a dog!”

Meine Stirn kräuselte sich, meine Augenbrauen rückten finster zusammen. Doch was sollte ich machen? Ich musste Kalu jetzt in der Obhut dieser Menschen lassen – unser Flieger ging in acht Stunden, keine Zeit für Diskussionen. Ich verabschiedete mich schnell und unsentimental, ab auf die Autobahn. Auf dem Flughafen Mumbai bleibe das angekündigte Filzen des Autos, des Gepäcks und der Passagiere aus. Allein diverse Straßensperren mit nasebohrenden Polizisten auf Parkbänkchen, der ein oder andere Sandsackhaufen mit einem Scharfschützen dahinter und Soldaten in schusssicheren Westen und mit MP aus dem 2. Weltkrieg erinnerten an die Drohungen der vergangenen Woche, verschiedene Airports, insbesondere Bangalore, Chennai und Delhi hochgehen zu lassen:

Nun müssen wir alle sehen, wie wir klarkommen. Ich kann nicht mehr tun, als ich getan habe. Kalu ist innerhalb einer Woche vom Straßenköter zum Luxushund mutiert (eine Rolle, die ihm sichtlich gefällt) und ich kann nur hoffen, dass meine Instruktionen gelesen und beherzigt werden.

Für mich beinhaltete das Chaos der letzten Tage eine große Lektion: Manchmal musst Du auch das loslassen, was Du liebst. Auch wenn es weh tut.

Ich wünsche Euch allen eine schöne Vorweihnachtszeit. Kauft nicht so viel. Liebt mehr.

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7 Responses to “Where a cold wind blows…”

  1. Daniela says:

    Schön, dass ihr auch einen Urlaub in Dt. habt. Wie lange werdet ihr bleiben?
    Armer, armer Kalu!

  2. jules says:

    Hey Daniela,

    schön, dass Du Dich meldest!
    Wir sind nur für eine Woche hier, wird also nix mit klassischer Weihnachtsfeier im Kreise der Familie. (Oder doch: Mit Kalu auf dem Schoß, in Indien – der wird totgeknuddelt, wenn ich zurück bin)

    Wir sind jetzt für ein paar Tage in Braunschweig und dann kommendes Wochenende in meiner Heimat Hamburg: U. arbeitet leider, ich besorge so wichtige Dinge wie Erbsensuppe essen, Glühweintrinken und Ohren abfrieren;-)

    Sag mal, was macht Ihr denn mit Socke? Katzen kann man doch noch viel schlechter woanders betreuen lassen: Kommt jemand in die Wohnung und versorgt ihn?

    Auf jeden Fall viel Spaß zu Hause, stressfreie (Familien)-Feiertage und eine sanfte Anpassung an die deutsche Stille! Man kann sie hören, nicht?

    LG

  3. Lars says:

    Hallo Julia,

    versuche euch zu erreichen. Scheinbar habe ich falsche Handy-Nummern. Wollen wir heute abend essen gehen?

    RUF – MICH – AN…

    xx Lars

  4. Mango says:

    Hi Julia,

    wie gut zu lesen, dass bei Euch alles geklappt hat! Vor allem freue ich mich für Dich, dass es für Kalu so gut aussieht!

    Liebe Grüße
    Mango

  5. Daniela says:

    Hallo Julia,

    wir haben einen Katzensitter gefunden. Sie hat selbst eine Katze und nimmt unsere Socke für die zwei Wochen auf. Wir haben uns schon mitsamt Katze vorher getroffen, um zu sehen, wie das läuft, und sie haben sich beide recht gut benommen. Natürlich hoffen wir, dass die Socke keine großen Späße dort treibt, aber das werden wir dann als Januarüberraschung erfahren.

    Dann eine schöne Restwoche euch beiden. Für einen kurzen Weihnachtsschub reichts ja.

    LG
    Daniela

  6. sarangiji says:

    Haus-Tierchen und Haustierchen
    Ich hab zur Zeit ungeheuer viele Haus-Tiere. Das sind allerdings Tiere, bei denen ich schon öfters den kalten Wind reingelassen habe. Der hat sie aber gar nicht gerührt. Sie vermehren sich rasend schell und sind auch von Farbtherapien unbeeindruckt: weiße Fliegen. Jetzt bin ich von der Yellowsticker Methode übergegangen auf Herkömmlicheres. Ich hoffe, das wirkt endlich like a cold frosty wind. Das sind Haus-Tiere, die nicht willkommen sind. Sie schaden meien Pflanzen.
    Krankheiten und Schädlinge sind manchmal eine Plage, sie sollen uns nicht unser Liebgewordenes nehmen!
    Es ist erstaunlich, wie man manchmal um Liebgewordenes kämpft. Da bringt man seine Tierchen zum Tierarzt und zahlt horrende Rechnungen, wenn andere schon sagen: was solls, kauf dir halt für das Geld nen neuen Vogel oder Hund, oder gleich fünf von der Sorte …
    Aber Haustiere sind halt schon nach dem ersten Tag Familienmitglieder, denen man bis zuletzt mit allen verfügbaren Mitteln hilft. Da müssen die Haus-Tierchen schon mal über die Klinge springen!

    Gruß
    Andreas

  7. jules says:

    Hi Andreas,

    hoffe, Du bekommst Deine Haus-Tierchen-Situation noch in den Griff damit Deine Haustiere sich entfalten können. Wie Du schon sagst: Ja, man kämpft. Viel Glück dabei und lass Deine Fenster nicht zu lange offen: Ist verdammt schattig hier 😉

    LG
    Julia