The dignity of dying

„It is not how much we do
but how much love
we put into what we do“

Ein Zitat von
Mother Theresa im Nirmal Hriday

Es ist Donnerstag Nachmittag, als ich mich endlich zum Kali Tempel im Süden der Stadt aufmache. Sanftes Licht taucht die Sandsteinhäuser der umliegenden Gassen in Goldgelb und Ocker, Staub tanzt im weichen Sonnenlicht und die ruhigen Gassen atmen Frieden. Ich habe mir den Besuch des bedeutendsten Hindu-Tempels von Kalkutta aufgespart, ich bin so ein Mensch: Saving the best for last.

Als ich nach einem viertelstündigen Spaziergang von der Kalighat-Metrostation schließlich vor einem Seiteneingang des Tempels stehe, bin ich fast ein wenig enttäuscht: Kein gigantischer Gopuram wie in den Tempeln von Tamil Nadu türmt sich über verzwergten Besuchern, es gibt keine langen, düsteren Gänge, geschwärzt von den Feuern der Abermillionen von Öllämpchen, und keine schwarzgesichtigen Kali-Skulpturen, die mit roten Zungen aus Nischen nach dem Leben der Gläubigen lecken. Nur der Opferplatz für Ziegen und Büffel entspricht meiner Vorstellung vom Blutdurst der schwarzgesichtigen Göttin: Immerhin muss hier zugunsten der Armenspeisung noch jeden Morgen um sechs ein Ziegenbock sein Leben lassen, die Büffel haben mehr Glück: Nur einmal im Jahr wird ein Stier hier geopfert, an einem besonderen Datum im Oktober/ November, das ich glücklicherweise verpasse. Weibliche Ziegen und Büffelkühe werden nicht geopfert, denn sie geben Milch, und die wird hier gebraucht.

Nein, der Kali-Tempel präsentiert sich von seiner friedlichen Seite: Eine junge Hündin döst still auf einem Blütenmandala in der warmen Nachmittagssonne, die anderen Besucher halten ein Schwätzchen auf Mauern im Schatten. Es ist keine Gebetszeit. Der Tempel macht ein paar Stunden Urlaub vom geschäftigen Treiben der Gläubigen.

Ich sehe mich um und werde schnell von Bapi adoptiert: Bapi ist selbst ernannter Tempelführer und nicht im Urlaub: In rasantem Tempo führt er mich zu den Sehenswürdigkeiten des kleinen Areals, bevor er mir an der separaten Badestelle der Gläubigen zwei zerfledderte rote Hibiskusblüten in die rechte Hand drückt, die ich einem Marmor-Shiva opfern darf. Vorher hatte er die Blütchen geschickt aus einem Müllhaufen gefischt, Opfergaben-Recycling im Schnelldurchlauf, Indien eben.

Erst nach einer Spende von 50 Rupien darf ich meines Weges ziehen. Bapi hatte unter Vorlage eines schnell herbeigezauberten Spendenheftes versucht, mir einen Tausender aus dem Kreuz zu leiern, aber das finde ich bei aller Liebe und auch im Hinblick auf den angeblich guten Zweck, die Armenspeisung, zuviel. Auch 50 Rupien sind ein gutes Bakshish, und zack!, kaum hatte ich sie hineingelegt, waren sie auch schon weg, aus dem Spendenbuch.

Auf dem Vorplatz des Tempels beim Haupteingang dann ein Bild, das ich schon von vielen Tempeln kenne: Menschliche Körper, viele Frauen mit Kleinkindern und Säuglingen, in unterschiedlichen Zuständen der Armut, Krankheit und Verwirrtheit, auf Plastikplanen oder Tüchern schlafend, in der Sonne dösend, nichtstuend, wartend. Worauf?

Ich schlendere um den Tempel und stehe auf einmal vor Mother Theresas ‘Home for the sick and dying destitutes‘ – ein passender Ort für ein Sterbeheim, neben dem Tempel von Kali, der Göttin des Todes und der Zerstörung, aber auch der Erneuerung. Langsam schweift mein Blick über das gepflegte ockerfarbene Kolonialgebäude, über dem ein gekreuzigter Jesus die Botschaft verkündet: I thirst.

Da ist es nun, das berühmte Heim, in dem viele Volunteers aus Europa Dienst tun, und über das schon viele Leute geschrieben haben: es war Mutter Theresas erstes Projekt in Kalkutta, mittlerweile betreibt die Mission hier über 30 Krankenhäuser und Heime. Traue ich mich herein? Wie ist es, für eine kurze Weile bei den Kranken und Sterbenden zu sein – anders als bei den Armen und Kranken auf der Straße, schlimmer noch? Oder tröstend?

Ich zögere. Aber dann tragen mich meine Füße durch die weit geöffnete Eingangstür und schon zwei Meter weiter stehe ich im Herzen des Heimes, dem saubergestrichenen, grünen Krankensaal. “Welcome to Mother’s first love” hatte mich ein Schild im Eingangsbereich begrüßt, nun bin ich da. Mit klopfendem Herzen lasse ich mich auf ein Mäuerchen in der Ecke sinken, will nicht stören, nur da sein: Ordentlich stehen etwa 50 eiserne Bettgestelle in drei Reihen aufgestellt, alle Betten sind sauber mit frischen grünen Laken bezogen, alle sind besetzt, kein Platz ist frei. Was auffällt, ist die Aufgeräumtheit des kleinen Saales, alles ist sauber, jeder hat trotz der vielen Betten seinen menschenwürdigen Bereich, das Heim atmet Offenheit und Frische, nicht Siechtum und Vergänglichkeit. An den Wänden und Pfeilern immer wieder die Handschrift der Gründerin: “The greatest aim of human life is to die in peace with God.” oder “Every action of mine be something beautiful for God.” Um Letzteres bemühen sich alle hier sichtlich erfolgreich.

Die Schwere, die ich angesichts der Kranken und Sterbenden erwartet hatte, stellt sich deshalb nicht ein: Es ist gerade Essenszeit, und sowohl die weißgewandeten indischen Ordens-Schwestern, als auch ihre europäischen Helfer haben alle Hände voll zu tun, die Kranken mit Thalis zu versorgen, die, durchaus lebendig, schnell verputzt werden. Eine Europäerin am Ende des zweiten Ganges fällt mir auf: Ausgemergelt und hohlwangig streckt sie die Hände nach einer Helferin aus, ich kann nicht deuten, was sie möchte. Manche werden gefüttert, ein alter Mann liegt am Tropf, aber es gibt mindestens eben so viele, die durch Zurufe über den Mittelgang ein Schwätzchen halten – hier wird nicht nur gestorben, sondern auch gelacht.

Gerne würde ich helfen, aber sowohl Volunteers als auch Schwestern haben einen eingespielten Ablauf, den ich nicht stören möchte. Dann spreche ich mit Schwester Glanda, die mir ein wenig über das Heim erzählt: “Es ist nicht so, dass hier nur Menschen zum Sterben herkommen”, erzählt die etwa 50-Jährige Nonne aus Kerala mir, “wir versorgen hier auch einfach viele Kranke, die wegen irgendwelcher Verletzungen herkommen und die bleiben dürfen, bis die Wunden oder Infektionen verheilt sind.”

Wie sie die Kranken und Sterbenden auswählt, unter Wartenden des Vorplatzes, hätte ich gern noch von ihr gewusst, aber so recht beantwortet sie mir diese Frage nicht. Stattdessen deutet sie auf die Tür und sagt: “You know, this door is always open.”

Ein schöner Satz, den ich mit in die warme Spätnachmittagssonne nehme, auf meinem Weg zurück in die Stadt, zurück in mein reiches, unkompliziertes Leben. I might come back.

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One Response to “The dignity of dying”

  1. Teodoraa says:

    Ich bin mir immer nicht so sicher wenn es um Mutter Teresa geht. Sicher sie ist eine Heilige und so, aber ihr Weltbild war doch eher barock, das irdische Leben gilt es zu überwinden und nur ein tiefreligiöses Leben führt dann in den Himmel.. carpe diem et memento mori, …und dass die umfangreichen Spendergelder für ihren Orden nicht in den sich selbstfinanzierenden Heimen eingesetzt werden, sondern sämtlichst auf den Konten des Vatikan landen, ist für mich auch nur bedingt nachvollziehbar…http://www.output-magazin.de/archiv/artikel/876.html
    Ist das Puna, was in der Hilfsorganisation “Neuro-Hilfe” erwähnt wird eigentlich identisch mit Pune? Ich werde aus der Homepage nicht ganz schlau: http://www.neuro-foundation-indien.de/