Das Leben ist schön.

countryside

sugarcane

heavy load

roadside-dhaba

“Momentan ist richtig, momentan ist gut
nichts ist wirklich wichtig
nach der Ebbe kommt die Flut…

am Strand des Lebens, ohne Grund, ohne Verstand,
ist nichts vergebens,
ich bau die Träume auf den Sand – und es ist, es ist ok…
alles auf dem Weg…
Es ist Sonnenzeit, unbeschwert und frei…

und der Mensch heißt Mensch
weil er vergisst, weil er verdrängt
und weil er schwärmt und stählt,
weil er wärmt, wenn er erzählt

und weil er lacht, weil er lebt

Du fehlst…”

Herbert Grönemeyer – Mensch

————————————————————

Der glühende Fahrtwind weht durch die weit geöffneten Fenster unseres Autos und trocknet die Schweissrinnsale am Oberkörper. Leider nur dort: Zwischen meinen übereinandergeschlagenen Beinen haben sich kleine Stauseen gebildet, die sich beim Umsetzen auf den Sitz ergießen und dort, zusammen mit dem Staub der Straße, eine klebrig-braune Koalition eingehen, auf der ich sitze. Dass es richtig heiß ist, merkt man daran, dass sich auf meinem schwarzen T-Shirt weiße Salzränder unter meinen Brüsten bilden, und überall dort, wo die Haut ein paar Falten wirft. Bin ich ein Zebra?

Passen würde es, jedenfalls klimatisch. Das Thermometer im Auto zeigt 39 Grad im Schatten. Ich halte meine Uhr aus dem Fenster, das technische Wunderwerk, das ebenfalls mit einem Thermometer ausgestattet ist, um zu gucken, wieviel Grad wir in der Sonne haben. Als sie bei 44,8 immer noch nicht fertig ist, habe ich genug und ziehe ich meinen Arm wieder herein. Es ist zu heiss da draußen. So in etwa muss sich Holz kurz vor Eintritt in den Hochofen fühlen, bevor es zu Kohlenstoff verarbeitet wird.

Während mein Körper schwitzt, singt meine Seele: Ich bin bei meiner Lieblingsbeschäftigung. Reisen. Ich bin auf dem Weg nach Bijapur um einen langjährigen Schüler von Shodo Harada Roshi zu besuchen, der in Bijapur einen kleinen Ashram leitet und eine Art Waisenhaus für Dalit-Jungen betreibt. Nun sind ernstzunehmende Zen-Mönche in Indien eine Rarität, und ich freue mich, endlich wieder an meine Wurzeln anknüpfen zu können.

Doch das ist es nicht, was mich an diesem Morgen beschäftigt. Es ist das Reisen an sich. Während wir durch die Steppe Karnatakas gleiten, vorbei an weißen Zebus mit ihren hübschen orangen Hörnern, die sonnenblöd in der Ödnis herumstehen, vorbei an Frauen, die sich im Schatten von Mangobäumen niedergelassen haben, vorbei an kleinen Lehm-Gehöften, die sich so wunderbar unauffällig in die Landschaft schmiegen, während wir also durch das völlig unspektakuläre ländliche Indien reisen, fühle ich mich als würde ich tanzen zu einer unhörbaren Melodie, die sich Leben nennt.

Und in der Tat, spätestens als wir Solapur passieren, tanzt Indien mit: Die Motorräder, die Roller, die Fahrräder, die Rikshas, die Tempos, die Ochsenkarren, die Passanten, die LKW´s, die Kleinwagen, die Busse, die Hunde, die Hühner, die Ziegen, die heiligen Kühe, die Kamele, die Esel und schätzungsweise 2 Millionen der 1,1 Milliarden Menschen, die sich gerade durch Solapur bewegen.

Wir alle branden gegeneinander in dem Versuch, uns durch das Chaos zu tanzen, das sich bescheiden Verkehr nennt – beschleunigen, bremsen, stoppen, beschleunigen und bremsen. In den schwarzen Dieselwolken der Lkw´s wirbeln die aus dem Fenster geworfenen Papier-und Plastiktütchen, die jede indische Stadt verwahrlosen, doch ich kann an diesem Morgen nichts anderes sehen als Schönheit: Alles ist eine einzigartige, symbiotische Choreographie des Lebens, hinter der sich Bollywood verstecken kann: der Staub, der Dreck, die bunten Plastiktütchen, das Gehupe, das helle Klingeling der Glöckchen an den Zuckerrohrpressen, die schwitzenden, schimpfenden Menschen, die sich jagenden Hunde, die stoischen Kühe, die als Inseln der Ruhe mitten im Getöse stehen. Dabei gibt es schlechte und gute Tänzer: Die schlechten landen als zerquetschte Kadaver am Straßenrand. Die guten tanzen ein Weilchen weiter.

Hingabe heißt das Zauberwort, beim Leben, wie beim Tanzen, und als wir gegen Abend schweißgebadet und staubgepudert aus dem Auto steigen, habe ich ein fettes Grinsen im Gesicht – wie nach jeder guten Party.

Ich bin glücklich. Danke, Leben.

Tags: , , , ,

2 Responses to “Das Leben ist schön.”

  1. Kerstin says:

    Welcome back, liebe Julia, ein schoener Bericht.

    Und nein, Bild Nr. 2 zeigt keine Einbahnstrasse;) Kurz vor dem Zusammenprall wird sich alles in Wohlgefallen aufloesen:yes:

    LG
    Kerstin

  2. jules says:

    Hallo Kerstin!

    Schön, dass Du den Weg auf meine Seite zurückgefunden hast! Bist Du immer noch EHS? Oder geht es besser?

    U. ist heute in Bangalore und ich höre, Ihr habt dort viel Regen???
    Sollte uns mal passieren… Pune trocknet langsam aus.

    Genieß die Zeit!

    LG
    Julia