Indien ist nicht gleich Indien.

Ich musste raus. Raus aus Pune. Keine 5,5 Millionen Menschen mehr auf den Straßen, keinen Smog, keine Atemmasken, kein Dorabjees, kein Dighi-Mountain, keine langen Hundespaziergänge, keine Schweinegrippen-Schlagzeilen mehr und kein Schweinegrippen-Virus. Aus. Ende. Vorbei. Ich bin weg.

Am letzten Dienstag nahm ich einen Flieger nach Rajasthan, nicht ohne vorher noch einmal in epischer Breite den Smog Mumbais in mich aufzusaugen und meinem Schicksal zu danken, dass ich nicht vier Stunden jeden Tages in den stinkenden Diesel-Abgasen dieses Superlativ-Molochs zu verbringen habe, nur weil ich zur Arbeit will. Obwohl ich Mumbai klasse finde. Interessant. Spannend. Alles andere als provinziell.

Nur eine Stunde später wurde ich in Udaipur ausgespuckt, diesem so geschickt als Venedig Indiens vermarkteten Fleckchen Erde mit seinen gerade einmal 400.000 Einwohnern, sauberer Luft, klarem Himmel (kein Smog!) und seinen Palästen aus 1001-Nacht, nein, natürlich aus der Maharadscha-Zeit im 17., respektive 18. Jahrhundert.

Und, was soll ich sagen: Ich fand es “traumhaft!” dort, wenn ich es nicht so spießig fände, etwas “traumhaft!” zu finden. Also beschränke ich mich darauf, dieses kleine und absolut überschaubare Städtchen schön zu finden, einfach schön. Es erinnert mich tatsächlich an die oberitalienischen Seen, Lago di Garda, Lago di Como, nur ohne die Italiener (und die Deutschen!) darin, auch wenn ich in etlichen Lokalen die braungebrannten Angehörigen italienischer Reisegruppen wiederfinden konnte: “Andiamo!”, “Attreversiamo!”.

Ich wanderte und wanderte. Am Ufer des Sees Pichola, soweit das möglich war; durch die Altstadt, durch die unendlichen Weiten des City-Palace und die unendlichen Austellungsräume der örtlichen Galerien. Ich ließ mich gefangennehmen von den feinen Miniaturmalereien auf altem Papier, Kamelknochen, Seide. Natürlich erlag ich abends von meinem Tisch in dem Garten des feinen Amet-Haveli den changierenden Spiegelungen des Lake Palace – schwebend über den Wassern des Sees beherbergt der Palast heute ein Luxushotel der Superlative: Der Teufel scheißt nur auf den großen Haufen.

Ich erlag aber auch dem (bescheideneren, weil nicht 685 Euro teuren und viel schöneren) Spiel von Narajan Bhopa, der in brütender Mittagshitze mit seiner Ravanahttha – einem indischen Seiteninstrument – die Seele Rajasthans in subtilen Tönen fing: Unter dem Torbogen eines der Central Ghats spielte er sein selbstgebautes Instrument, während ich neben zwei Kälbchen kniete, die sich im Schatten niedergelassen hatten – eine fast biblische Szene. Mir war zum Heulen.

Und als ich gestern meinen kleinen Koffer packte, stand für mich fest, dass ich mit dieser kleinen Stadt noch nicht fertig bin: Udaipur ist keine gewöhnliche Kleinstadt, es ist ein Kleinod. Und es ist so ganz anders als der Rest des indischen Nordens (und Südens), den ich bisher kennengelernt habe. Für mich ist es eine Stadt der Ruhe, ein Retreat. Eine Stadt der Kunst. Ich werde wiederkommen. Bald.

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9 Responses to “Indien ist nicht gleich Indien.”

  1. Mango says:

    Hallo Julia,

    …und ausgerechnet Udaipur hatte ich aus Zeitmangel aus meinem Reiseplan gestrichen…. Ich kann nachvollziehen, was Du mit “traumhaft” meinst, und reihe mich damit ausnahmsweise gerne in die “Spießerliesel”-Sprache ein. Rajasthan wirkt auf mich “märchenhaft”. Und weil die traumhafte Beschreibung Udaipurs in Deinem Bericht meine Reiselust weckt, fühle ich mich geradezu genötigt, die Stadt in eine meiner zurkünftigen Reisen mit in den Plan zu nehmen….irgendwann….

    Ich wünsche Dir einen guten und “zauberhaften” Wiedereinstieg in Pune!

    Liebe Grüße
    Mango

  2. Daniela says:

    Hmmm, wie schön! Es ist so lange her, dass ich dort war, aber du hast die Stadt wirklich zurück gebracht. Warst du allein dort?

    LG
    Daniela

  3. jules says:

    Hallo Daniela,

    ja, war ich. Und es war schön. Udaipur läßt sich zu allem Überfluss hervorragend allein durchstreifen – keiner nervt, keiner zuppelt an Dir herum, man wird, außer von den Galerie-Besitzern, die einen freundlich grüßen und die furchtbar neugierig sind, in Ruhe gelassen. Das ist als alleinreisende Frau keine Selbstverständlichkeit, wie Du weißt. Herrlich!

    LG

    Julia

  4. anu says:

    na jetzt bin ich aber wirklich beleidigt! Warum hast du mir denn nicht gesagt, dass du hier warst!
    Naja, schoen dass es dir gefallen hat, Udaipur ist schon ein nettes Fleckchen Erde. Vielleicht klappt es ja das naechste Mal.

    lg
    anu

  5. jules says:

    Liebe Anu,

    ich hab überlegt, mich bei Dir zu melden; aber drei Tage sind nun wirklich nicht viel Zeit. Außerdem werde ich sicher wieder kommen und vielleicht sogar ein wenig länger bleiben – ich hab da nämlich ein paar Pläne…

    Nächstes Mal melde ich mich bestimmt!

    Ganz liebe Grüße,

    Julia

  6. fabian says:

    oh, das hört sich ja wirklich verlockend an…werd ich vorbeischauen…

  7. Daniela says:

    Ich erinnere mich an die ruhige, fast schon neblig-märchenhafte Stimmung, die in den frühen Morgenstunden herrschte. Wir waren sehr früh auf den Beinen, als wir in Udaipur waren, und genossen die ersten Stunden wirklich ganz besonders. Leider schlug das für uns dann um, als die ganzen Touristen und Schlepper unterwegs waren. Ab 10Uhr war dann nix mehr mit Ruhe und Frieden, und auch geruchstechnisch hatte sich durch die vielen Kühe viel verändert. Allerdings denke ich, dass das daran lag, dass wir während der Tourisaison dort waren. Das kann man mit August ja gar nicht vergleichen. Du hast es sozusagen richtig gemacht – und wurdest gebührlich belohnt. 🙂

    LG
    Daniela

  8. Wolf says:

    Ich kann mir richtig vorstellen, sie fasziniert und gleichzeitig geschockt man von den Riesenstädten / Mollochs in Indien ist. Indien ist einfach faszinierend, aber vieles kann man wohl nur kurzfristig aushalten. Was wohl nur schwer zu ertragen ist für uns amre Mitteleuropäer ist der Verkherslärm, der Smog, die Dichte der Menschen. Es stürzen so viele Eindrücke auf jeden ein, dass man schnell so überladen ist, dass die Psyche darunter leidet. Vielleicht sollte man immer eine kleine Dosis nehmen, die man immer mehr steigert? Viel Spaß noch dorten.
    Wolf
    http://www.aktueller-info-service.de

  9. sarangiji says:

    Hallo Jules,
    zurück aus dem Urlaub (Dänemark);
    mich würde der Klang des Instruments interessieren. Auf youtube fand ich es nicht. Ist die Schreibweise korrekt? (Habs ein wenig verändert, aber keine Resultate erhalten)