Notiz: Sterben in Indien.

Wo wir gerade beim Sterben sind: Heute, seit schätzungsweise drei Wochen, machte die TOI das erste Mal NICHT mit der Schweinegrippe auf, sondern mit einer anderen, zugegebenermaßen traurigen Nachricht:

Indien ist nach einer Statistik der WHO das Land mit den meisten Verkehrstoten – 2006 (die neuesten verfügbaren Zahlen) starben mehr als 114.000 Menschen (zum Vergleich: knapp 90.000 in China) auf den Straßen Indiens, nicht mitgerechnet diejenigen, die erst ein paar Stunden nach Einlieferung in das nächste Krankenhaus den Löffel abgaben – die Angabe bezieht sich nur auf die direkt am Unfallort Verstorbenen. Ich denke, da kann man dann locker noch mal das Doppelte addieren, um an eine realistische Zahl zu gelangen.

Dabei führen die Länder Andhra Pradesh und Maharashtra die Liste der “Killerstaaten” an – die Ursachen liegen vor allem im Schnellfahren, möglichst betrunken und unangeschnallt, und, was Motorräder angeht: Keine Helme, aber zwei Kinder vor dem Bauch, natürlich auch ohne Helm.

Daneben nehmen sich die Toten der Schweinegrippe, bisher indienweit 21 an der Zahl (Stand 13.08.), natürlich niedlich aus. Zum Vergleich: Auf den Straßen Indiens sterben jede STUNDE 13 Menschen.

Ich glaube, ich werde auch weiterhin keine Maske tragen. Über einen Helm würde ich allerdings nachdenken. Falls, ja falls, ich endlich mal meine Bajaj kaufe – aber das ist eine andere Geschichte. Hunde lassen sich eben schlecht auf Motorrädern transportieren. Apropos: Gibt es eigentlich Hundehelme?

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8 Responses to “Notiz: Sterben in Indien.”

  1. Kerstin says:

    …und aus diesem Grund kann ich bezueglich Disziplin auf den Strassen solche Sprueche, wie “das geht nicht in Indien” auf den Tod nicht leiden. Geschrieben glaube ich in Deinem Blog vor ein paar Monaten von einem indischen Buerger, der der Meinung war, die Polizei sollte lieber Moerder jagen…..(wohlweislich lebt er nicht in seinem Land…).

    Tja, was soll man dazu sagen? Hatte mich ja schon bezueglich des Motorradunfalls in meinem Blog lang und breit ueber den Sinn und Unsinn auf Indiens Strassen ausgelassen. Meine Meinung dazu hat sich nicht geaendert.

    Nur soviel: Soviel Dummheit wie auf den Strassen Indiens habe ich selten gesehen.

    LG
    Kerstin

  2. Daniela says:

    Ich bin mir noch nicht sicher, ob ich nun dazu tendiere, diese hohe Unfalltotenquote mit Hilfe der Fahrweise oder der Infrastruktur zu erklären. Fahrweise: klar, brauchen wir nicht drüber reden. Kein Respekt, kein gegenseitiges Miteinander, keine Rücksicht, keine anständige Ausbildung und purer Leichtsinn. Aber die Infrastruktur ist auch nicht ohne: Straßen sind häufig komplett irrsinnig angelegt. Der Belag an sich ist schon tödlich. Es gibt in Mumbai Schlaglöcher auf dem Highway, die so tief sind, dass sich ein Motorrad- oder Rickshshawfahrer sofort das Genick bricht, wenn er durchfährt, weil er stecken bleiben und/oder die Kontrolle verlieren würde. Die Staus. Das Nichtvorhandensein oder Nicht-Durchkommen von Rettungsdiensten. Schlecht bis gar nicht gekennzeichnete Baustellen. Die Nicht-Durchsetzung der StVO. Kein TÜV bzw. das kunterbunte Miteinander von Verkehrsteilnehmern, die nicht auf die Straße gehören.

    Ich würde nicht sagen, dass es nur an der Fahrweise liegt. Selbst wenn man will, kann man nicht anständig fahren, weil die Grundausstattung dazu gar nicht gegeben ist.

    LG
    Daniela

  3. Steffi says:

    Letztens wollten mein Mann und ich mit unserem Hund auf einem Feldweg in der Nähe spazieren gehen, als plötzlich kurz vor unserem Ziel die Straße vor uns von einem Polizeifahrzeug gesperrt wurde. Wir konnten zunächst gar keinen Grund erkennen und dachten, wir können evtl. gleich weiter fahren.
    Dann bemerkte ich, wie einer der Polizisten offensichtlich verzweifelt mit einer Art Brechstange im Straßengraben herumfuchtelte.

    Wir sahen und hörten den Rettungsdienst kommen und wendeten, um nicht im Weg zu stehen. Wir entschieden uns dafür, auf einen anderen Feldweg in der Nähe auszuweichen und bemerkten noch den Rettungshubschrauber, der kam, eine Runde drehte und wieder wegflog.

    Die Fahrzeuge der Rettungsdienste verließen den Unfallort und
    auf dem Rückweg sahen wir, wie ein Feuerwehrkran ein Auto aus dem Graben barg.

    Ich philosophierte über unser Glück, in einem so gut ausgestatteten Land wie Deutschland zu leben, in dem es so gut organisierte Rettungsdienste gibt und hoffe, dem Fahrer gehe es bald wieder gut.

    Bereits wenige Stunden später war auf der Polizeipresseseite im Internet
    zu lesen, daß in diesem Graben eine ca. 71jährige Frau im 60cm tiefen Wasser ertrunken war, nachdem sie aus ungeklärter Ursache in einer Kurve die Kontrolle über ihr Fahrzeug verloren hatte und in den Graben geraten war.

    Der Polizist hatte also mit aller Kraft versucht, die Frau aus dem Auto zu befreien und hatte es nicht geschafft. Obwohl ich zu dem Zeitpunkt nicht wußte, was dort vorgeht, weil ich einfach das Auto in dem Graben nicht gesehen hatte, beschlich mich ein beklemmendes Gefühl.
    Und der Rettungshubschrauber war wieder abbestellt worden, weil die Frau bereits verstorben war.

    Obwohl ich nicht hautnah dabei war und meine Eindrücke erst im Nachhinein zusammenpuzzlen konnte, machte mich die ganze Sache furchtbar betroffen.

    Auch wenn die Frau leider nicht gerettet werden konnte und ich ansonsten auch mit vielen Dingen hier nicht einverstanden bin, bin ich wirklich froh, in Deutschland zu leben. Und Eure Berichte zu lesen, schockiert mich noch mehr und bestärkt mich in meiner Ansicht.
    Da nehm ich lieber etwas Spießigkeit und Beschränktheit hin.

  4. Kerstin says:

    @ Daniela,

    das mit den aus dem Nichts auftauchenden riesigen Schlagloechern kenne ich natuerlich auch aus Bangalore (sie fallen quasi vom Himmel). Und gerade DESHALB, vor allem in Gegenden, in denen ich mich nicht auskenne, fahre ich einfach langsamer, damit im Ernstfall nicht zuviel passiert.

    Deswegen moechte ich eigentlich Deinen letzten Satz (selbst wenn man will**) nicht so stehen lassen. Denn genau den Fakt der schlechten Infrastrutkur/Grundausstattung kennen die Inder ja besser als ich. Aber sie fuehlen sich in keiner Weise genoetigt, z. B. einfach mal langsamer zu fahren und vielleicht 2 Minuten spaeter ans Ziel zu kommen. Fuer mich ganz klar ein “Nichteinschalten des Gehirns”, denn viele Unfaelle koennten zumindest glimpflicher ausfallen.

    @ alle:
    Heute ist in Bangalore ein Rikshawfahrer von einem Truckfahrer getoetet worden, weil er dachte, mal “eben schnell” auf den Highway zu fahren. Dass ein Truck vielleicht noch schlechter abbremsen kann als ein kleines Auto, musste er leider auf eine toedliche Weise lernen. Dies ist auch eine “menschliche” Unsitte, sich permanent ueberall reindraengeln zu wollen und manchmal klappt’s halt nicht….

    Aus meiner Sicht passieren die meisten Unfaelle aufgrund menschlichen Versagens und nicht, weil die Infrastruktur so schlecht ist. Diese traegt mit Sicherheit mit dazu bei, dass das notorische Nichtwartenkoennen noch mehr provoziert wird, aber auch das habe ich ja letztendlich selber in der Hand. Da ich mich jeden Tag selber durch den Berufsverkehr bewege, sehe ich selten Dinge, die der Menschen nicht selber beeinflussen koennte (vom Alkohol will ich gar nicht reden).

    Was wuerde eigentlich passieren, wenn die Strassen die gute Qualitaet haetten wie in Deutschland? Wir wuerden noch mehr Kamikaze-Fahrer sehen, denn dann koennte man mal so richtig Gas geben. Mich nerven z. B. die ganzen Humps auch sehr, aber ich verstehe, warum sie leider sein muessen…

    Hirn einschalten und die geltenden Gesetze auch wirklich durchsetzen, am besten mit horrenden Strafen. Dies ist fuer mich die einzige Loesung. Wir sind in DE ja keine “Bessermenschen”, wir wurden gezwungen, uns an die Regeln zu halten und zwar einfach nur ueber den Geldbeutel.
    Ich weiss, kann man vielleicht nicht vergleichen, da die Technik in DE eine grosse Rolle spielt, aber z. B. Helme und Sicherheitsgurte gibt’s ja nun in Indien auch. Aber leider sehen (wie wir am Anfang) viele die Notwendigkeit einfach nicht ein.

    LG
    Kerstin

  5. Daniela says:

    @Kerstin

    Du hast natürlich recht, aber seien wir doch mal ehrlich: wie langsam sollen wir denn fahren? Letzte Woche fuhren wir auf dem Express Highway (eine Schnellstraße, wohlgemerkt), als plötzlich ein riesiges Poltern unter uns uns davon in Kenntnis setzte, dass wir soeben ein monströses Schlagloch mitgenommen hatten. Wir hatten es nicht gesehen. Es war die Woche vorher auch noch nicht dagewesen. Solche Löcher tauchen einfach auf von einem Tag auf den anderen, und man kann doch nicht ernsthaft von der Bevölkerung erwarten, dass sie mit 20kmh auf dem Highway fahren. Das ist doch der reinste Witz. Natürlich kennen reguläre Fahrer die alten Schlaglöcher und lernen die neuen immer dazu. Wir wissen auch, wo wir mal eben die Fahrspur wechseln müssen, weil seit Moooonaten ein Gullideckel fehlt, etc pp, aber wer zum ersten Mal dort fährt, der weiß das nicht, und durch den dichten Verkehr kann niemand mehr als 4m voraus gucken. Also gibt es eine Notbremsung — einen Auffahrunfall…. fertig ist das Chaos.
    Auch sind die Fahrbahnmarkierungen ein Witz. Folgt man ihnen, landet man an Planken. Bei einer nagelneuen Auffahrt zu einem nagelneuen Flyover hier führt eine Spur direkt auf die Balustrade zu, und natürlich hat es keine Woche gedauert, bis jemand mit voller Wucht dagegen geschwartet ist und die gesamte Balustrade weggerissen hat.
    Neulich fuhren wir in Südmumbai über eine Kreuzung, als plötzlich die Straße weg war. Wir standen mitten auf der Kreuzung und mussten anhalten, weil wir nicht wussten, wo es lang ging. Uns standen in jeder Straße Autos gegenüber. Hä? Die Fahrbahnmarkierung hatte nach links gezeigt, also waren wir links gefahren – fast in eine Einbahnstraße. Weil die tatsächliche Straße nämlich nicht links ging, sondern man auf der Kreuzung ein S fahren musste – um eine andere Ausfahrt ringsrum und dann gerade. Das konnte man aber nicht sehen, wenn man noch an der Ampel stand (und wir hatten ungünstigerweise ganz vorn gestanden). Diesen Irrsinn kann ich nicht mal in Worte fassen, aber als Fahrer kann ich für solchen Blödsinn auch nicht zur Verantwortung gezogen werden. Ein Frontalunfall ist doch in einer solchen Situation vorprogrammiert. Wir mussten anhalten und gucken – wenn uns in diesem Moment jemand reinschwartet, weil er in der Zwischenzeit Grün hatte, ist das dann unsere Schuld? Da spiel ich nicht mit.

    Die meisten Leute fahren wie die Bekloppten, aber nicht selten sind dämliche Manöver von der gegebenen Straßensituation einfach erzwungen. Wie oft mussten wir ruckartig rüber lenken (und haben dabei fast ein anderes Auto gestreift oder einen Motorradfahrer ins Schwanke gebracht), weil urplötzlich ein Steinblock auf der Straße lag. Bremsen wir, fährt der hinter uns auf. Fahren wir drüber, ist das Auto im Arsch. Ich glaube nicht, dass es normal ist, als Fahrer nach Steinblöcken, Kratern und vermissten Straßen suchen zu müssen.

    LG
    Daniela

  6. jules says:

    Ach, Ihr seid klasse!

    Können wir uns darauf einigen: Unterirdische Straßenzustände und unterirdische Fahrweisen? (Ich spreche nicht von gehirnamputierten Fahrern – die soll es hier auch geben… oder nicht?)

    This is chaos-country and you can love it or leave it; I do both from time to time 😉

    LG

    Julia

  7. Falk says:

    Ich war jetzt ein paar Tage in Deutschland. Da läuft ja gar keiner mit (wirkungsloser) Schweingrippemaske vor denm Gesicht herum.
    Mein Fahrer am Flugahfen hatte ein Stofftaschentuch vors Gesicht gebunden. Weil die Masken zu teuer sind. Und letzlich wären in den letzten 4 Wochen 19 Leute in Pune an der Schweinegrippe gestorben.

    Ich habe ihm gesagt, dass im selben Zeitraum 120 Leute in Pune im Straßenverkehr getötet worden sind. Er solle besser aufhören, zu Fuß über die Straße zu gehen, als mit seinem Taschentuch vor dem Gesicht Auto zu fahren. Es hat ihm einen Moment zu denken gegeben. Nachhaltig? Werde ich morgen früh sehen.

    Liebe Grüße

    Falk

  8. Tami says:

    Das mit den Helmen ist so eine Sache.

    Bei uns in DE haett ich niemals daran gedacht ohne Helm auch nur 2 Meter zu fahren. Hier lauert die prinzipielle Gefahr aber nicht primaer am nicht vorhanden sein des Helmes, sondern – wie schon beschrieben – an:

    .) Strassen (in Varkala in tlws. katastrophalem Zustand)
    .) Schlagloecher von locker 20-30 cm durchmesser (auch so tief)
    .) absolute Ruecksichtslosigkeit (vorallem von Bussen)

    Natuerlich koennte man Verletzungen mit Helm verringern, keine Frage – aber es ist auch sicher verdammt schei==e mit Helm bei diesen “knappen” Temperaturen zu fahren (ich gebe zu, wir fahren auch ohne Helm)