Arrangierte Ehen und andere Besonderheiten

Ich habe mich schon immer gefragt, wie das hier so läuft, in Indien, mit den arrangierten Ehen. Fragen über Fragen stellten sich, die ich leider nicht wirklich loswerden konnte, jedenfalls bekam ich keine direkten Antworten darauf, denn alle Angehörigen der indischen Mittelschicht, die wir kennen und die der englischen Sprache mächtig sind, haben sich ihre Partner selbst gesucht und den modernen Weg der Liebesheirat beschritten. Keine große Hilfe also, wenn es darum geht, aus erster Hand zu erfahren, wie es um dieses einzigartige Instrument der indischen Gesellschaft heute bestellt ist.

Auf meinem Zettel des ungläubigen Unverständnisses befanden sich unter anderem folgende Fragen:

1. Gibt es das Institut der arrangierten Ehe eigentlich nur noch in der Unterschicht, oder werden auch die Damen der Mittelschicht noch an vielversprechende Kandidaten verkuppelt?

2. Sofern Frage 1 mit ‘Ja‘ zu beantworten ist: Spielen dabei Mitgiftzahlungen noch eine Rolle? (Anmerkung: Offiziell sind Mitgiftzahlungen seit der Einführung des Dowry Prohibition Acts 1961 in Indien verboten, in der Unterschicht und auf dem Land sind sie jedoch noch gängige Praxis, meines Wissens nach)

3. Wie ist das Prozedere? Junge Frau/ junger Mann im heiratsfähigen Alter bekommt Vorschläge über geeignete Kandidaten? Von wem? Warum? Woher? Wie geht es dann weiter? Wer trifft wen, wann?

4. Dürfen die zu arrangierenden Eheleute ablehnen? Oder werden sie im Zweifel von ihren Familien überstimmt und MÜSSEN heiraten, Gott bewahre?

5. Wie fühlt es sich an, so ein Date mit einem von der Familie gut geheißenen Mr. (oder Ms.) Unbekannt? Aufregung? Bauchschmerzen? Hoffnung? Angst?

Und endlich, endlich habe ich Antworten bekommen: Zwar nicht von einem Menschen, den ich persönlich kennengelernt habe, sondern aus dem Internet, natürlich. Per Zufall bin ich auf die Seite von thevoiceinmyhead.com gestoßen und habe mich bei Melodys Erzählungen über ihre Erfahrungen mit  heiratswilligen Freiern (1800-HUSBAND-FOR-MELL) königlich amüsiert. Wer Lust hat, sich mit den witzigen und sarkastischen Betrachtungen einer jungen Inderin zum Leben in Indien und indischen Phänomenen, eben auch dem der arrangierten Ehe, ein wenig näher zu beschäftigen, guckt hier oder hier oder hier.

Leider hat Melody inzwischen aufgehört zu bloggen und sich ganz einem Leben im Glauben zugewandt. Ich hoffe nicht, dass das auf ihre Erfahrungen im Heiratsgeschäft zurückzuführen ist….mhhhh?

Nein, zu clever, das Mädchen.

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9 Responses to “Arrangierte Ehen und andere Besonderheiten”

  1. Kerstin says:

    Wenn es Dich interessiert, hier meine Erfahrungen aus zweiter Hand, naemlich der inzwischen Verheirateten bzw. durch lange Gespraeche:

    1. Auch die Damen der Mittelschicht werden durchaus noch arrangiert verehelicht, wobei aber der Trend eindeutig in Richtung Liebesheirat geht.
    2. Offiziell nein, inoffiziell ja (aus “gutem Hause” soll er sein, am besten selber studiert mit einem relativ gut dotierten Job), wenn man dann die Geschenkeberge an die liebe Familie sieht…..
    3. Vorschlaege kommen von den Eltern, ueber Heiratsagenturen (auch gern Internet), von der Verwandschaft, von Freunden, von Nachbarn, ueber andere Hochzeiten.
    4. Sie duerfen ablehnen. Manchmal ist dann irgendwann “gut” und sie muessen nehmen oder man laesst sie in Ruhe, damit sie selber suchen koennen.
    5. Wie fuehlt es sich an? Von allem, was Du aufgeschrieben hast, ein bisschen. Ein Paerchen (heute verheiratet) war klar, wir versuchen es miteinander, mit mehreren Treffen und dann entscheiden wir uns (dafuer oder dagegen).

    LG
    Kerstin

  2. jules says:

    Hallo Kerstin,

    danke für Deine Stellungnahme, die sich im Übrigen ziemlich mit dem deckt, was Melody beschreibt.

    Aber die einzelnen Versuche, können, glaube ich, wenn auf einmal wildfremde Verwandte des was-weiss-ich-wievielten-Grades Kuppler spielen wollen, ganz schön skurril sein…

    LG zurück

    Julia

  3. anja says:

    interessant, dass du das thema ansprichst, denn auch hier hab ich in den letzten woche viel mit deutschen und auch meiner indischen freundin darüber geredet. es ist wirklich schwer zu verstehen für uns…aber mir ist es neulich auch mal gelungen, den blick von der anderen seite als positiven zu erleben. hab deine meine ma gefragt, was für einen mann sie für mich aussuchen würde… :roll: ich finde, die unterstützung der familie KANN in dem punkt ja auch ein plus sein. das ist in indien ganz selbstverständlich und hier wäre es undenkbar….schade, es bleiben wohl zwei extreme.
    ich hab beides in meinem inidschen umkreis erlebt. ist ein wandel wirklich zu sehen? und wenn ja, in welchen schichten?
    shaadi.com ist wohl sehr bekannt…
    lg anja

  4. jules says:

    Hallo Anja,

    ich glaube, das stimmt!

    Auch wenn es aus der Sicht unseres Kulturkreises erst einmal sehr geschäftsmäßig und wenig liebevoll wirkt, kann es im Idealfall wahrscheinlich auch genau das Gegenteil sein: Es bemühen sich dann die Menschen, die Dich wahrscheinlich mit am besten kennen, also Deine nahen Verwandten und Freunde darum, einen zu Dir passenden Menschen zu finden, der möglichst viele der Eigenschaften haben sollte, die man in eben dem Partner fürs Leben sucht und braucht.

    Und dem Du dann bestenfalls die Eigenschaften mitbringst, die er in einer Frau sucht.

    Und beide geben ehrlich zu, dass sie auf der Suche sind, und zwar ernsthaft. Und die Suche nach einem Partner wird nicht als Manko betrachtet, wie häufig in Europa. Das empfinde ich sogar als Fortschritt gegenüber unseren Verhältnissen in Deutschland, wo ja eigentlich keiner so recht zugeben möchte, dass er/sie einsam ist.

    Allerdings hängt in Indien dann natürlich vielfach noch ein Rattenschwanz an Verpflichtungen mit dran, der uns sicher nicht geheuer ist: Schließlich heiraten in Indien ja nicht nur zwei Menschen, sondern vielfach zwei ganze Familien.

    Und wenn dann die junge Braut ihr Elternhaus verlässt, um für immer bei ihren Schwiegereltern mit im Haus zu leben, fangen natürlich die Probleme an, über die wir dann leider häufig in der Zeitung lesen.

    Wie Du schon sagtest: Ein Mittelweg wäre sicher toll!

    Und, zu Shaadi: Hab neulich mal mit der Tochter von Shanti ein paar Heiratskandidaten auf Shaadi ausgeguckt – war ein toller Spaß!

    LG

    Julia

  5. Teodoraa says:

    In der Familie (Mittelstand)und weitestem Freundeskreis meines Mannes, hat er die einzige Liebesheirat -auch seine indischen Freunde aus Deutschland, allesamt Doktoranden sind bis auf eine Ausnahme arrangiert verheiratet worden. Sie hatten z.T. deutsche Freundinnen, aber niemand hat die Konfrontation mit der Familie versucht.
    Die Schwester meines Mannes wurde auf einem Treffen von Menschen, die jemanden verheiraten wollen vorgestellt. Es gibt auch Frauenfestivals bevor Sindhara, auf denen die heiratsfähigen Mädchen z.B. tanzen, das ist in etwa ein Debütantinnenball nur ohne Männer.
    Schwierig wird es, wenn man jemanden gefunden hat, der dann zu einer der Familien gehört, mit der man verwandt ist. Das sind Verwandschaftsbeziehungen, die ca. 2000 Jahre zurückliegen, die sog. Urfamilien und mittlerweile millionenstarke Gruppen haben entstehen lassen, die man nicht heiraten kann. Eine Cousine meines Mannes hatte sich in einen Arzt verliebt, der zur gleichen Gruppe gehörte und die gesamte Familie war wirklich empört und mein Mann musste mir erklären, dass aus einer solchen Beziehung nur genetisch kranke Kinder entstehen können – als besonders unbegreiflich wurde es angesehen, dass es sich um einen Arzt handelte, der müsse es doch nun genau wissen. Ich habe nun versucht zu erklären, dass weil es ein Arzt ist, er auch weiß, dass nach 2000 Jahren, die Gefahr einer Genkrankheit vielleicht nicht mehr die größte Sorge zu sein braucht, bin mir aber ziemlich sicher, dass ich nicht verstanden wurde…

  6. jules says:

    Oje, das klingt ja in letztgenanntem Falle wirklich nicht gerade einsichtig… und eher mittelalterlich. Was haben die armen Verliebten gemacht? Haben sie es geschafft, zusammenzubleiben? Und was machen dann die Parsen, die ja eh an Inzucht leiden, weil es nur noch so wenige von ihnen gibt?

    Jaa, manchmal fragt man sich…

    Dann hast Du ja ungeheures Glück gehabt, dass Dein Mann gekämpft hat: Hast Du vielleicht irgendwo etwas darüber geschrieben? Fänd ich nämlich ungeheuer spannend!

    LG!

  7. Teodoraa says:

    Hallo Julia,
    mir fiel auf, dass ich tatsächlich über die Anfänge meiner Beziehung bisher nur wenig in meinem Blog geschrieben hatte, andererseits mussten wir auch nicht so viel kämpfen, da in Anands Familie, seine Mutter das ‘Sagen’ hat und da sie fast von Anfang an ihre Zustimmung gab, hat sie uns eher den Weg geebbnet, gegen uneinsichtige Verwandte, ihren störrischen Mann, bis hin zum Behaupten, dass ich religiös gesehen ein Glücksbringer sei… =)
    Auch wenn ich sicherlich nicht die Traumschwiegertochter bin, ich kann nur wenig hindi, mein Kochkenntnisse sind durchaus als mangelhaft anzusehen, von der Göttin Durga weiß ich höchstens, dass es sie gibt und meine Familie hat natürlich auch keine Mitgift bezahlt, so dass die Hochzeitskosten an Anands Familie hängen blieben…. (und meine Idee von einer schlichten, kleinen Heirat deckte sich nur bedingt, mit der indischen Idee einer schlichten kleinen Heirat 😉

    Ich habe mir von Anand nochmals das System der Urfamilien oder Gotras erklären lassen, aber es ist ziemlich verwirrend… eine gute Beschreibung findet sich auch unter ‘Gotra’ in Wikipedia- es begann wohl einmal als Notwendigkeit…mittlerweile ist es historisch und wird dennoch befolgt… Den Ausgang, der von mir oben erzählten Geschichte kannte Anand aber auch nicht, er will sich beim nächsten Telefonat mit seiner Mutter aber einmal nach der ungehorsamen Cousine erkundigen… Fortsetzung folgt…
    Ansonsten meinte er nur, dass arrangierte Ehen in der Unterschicht üblich seien, in der dem Westen nacheifernden Mittelschicht langsam verschwinden, dass sie aber in der Oberschicht, die sich wiederum gegen den Westen abgrenzen will, erneut auftreten… und vor allem in Gujerati-Familien absolut üblich sind. Das sind Business-Entscheidungen im Sinne Geld heiratet Geld…die Frau darf höchstens ärmer sein, wenn sie einer höheren Kaste entstammt…

    lg Thea

  8. Daniela says:

    Der Glaube an die kulturelle Überlegenheit (im Sinne von: mehr Fortschrittlichkeit) ist ein Mythos. Die Mittelklasse ist viel, viel traditioneller als die Unterklasse, in der es mehr Freiheiten gibt. Mehr Liebeshochzeiten. Mehr Scheidungen (die aber nicht wirklich SCheidungen sind, sondern einer verlässt den anderen einfach), mehr von allem, was als “modern” gilt. Mitgift ist kein nachlassendes, sondern ein steigendes Problem in der Mittelklasse. Ich denke auch, dass viele sog. Liebeshochzeiten sorgfältig arrangiert oder geplant sind: schließlich geht es häufig streng genug zu, um zu kontrollieren, wen Sohnemann/Tochter überhaupt treffen, und wo kein Kontakt – da auch keine Affäre. Wenn man sich durch Verwandte/Bekannte vorgestellt wird, ein halbes Jahr lang zusammen ausgeht und dann heiratet, dann ist das in meinen Augen trotzdem keine Liebeshochzeit. Sonst müsste ich die Ehen meiner Schwägerinnen durchaus als solche bezeichnen. Es sind aber lediglich geschickt eingefädelte Manöver der Familie.

    @Thea

    Die Oberschicht grenzt sich gegen den Westen ab? Dem stimme ich nicht zu. Wenn ich die Zeitung aufschlage, seh ich etwas genau gegenteiliges. Es ist nicht dem Westen, dem die Mittelklasse entgegen schwimmt, sondern dem matieriellen Wohlstand. Das ist nicht dasselbe. In jeder Moraldiskussion, die hier ja so häufig stattfinden, ist es die Mittelklasse, die sich mit Händen und Füßen gegen die “Verwestlichung” stämmt, während die Schönen & Reichen nur milde lächeln und auf die Bahamas jetten.

    LG
    Daniela

  9. Melody says:

    Hello.. saw the link coming in & did my best in trying to understand what you meant by using Google’s translate 🙂

    Glad you liked my 1800-husband-for-Mell series – am definetely going to start blogging again (maybe in a month or two) the sabbatical did me good!

    Keep blogging & keep reading!

    Mell