The colours of my mood

Es dämmert in Pune. Gerade habe ich unseren Besuch verabschiedet, die Tür fällt ins Schloss und ich bin wieder allein. Ich öffne die Flügeltür auf den kleinen Treppenabsatz, die sich gen Süden öffnet, die Sonne ist längst hinter der Bauruine zur linken Seite unserer Wohnung verschwunden, und schaue in den Abendhimmel, der zartblau die Nacht einläutet. Ich sehe die Schwalben, die kreisend ihre letzte Abendrunde drehen, höre die Schwingen des Adlers, der, mit einem Stöckchen im Schnabel, den für heute letzten Baustein zu seinem Horst in dem großen Eukalyptusbaum unseres Gartens hinzufügt.

Kalu knabbert sanft an einem Stöckchen auf dem Rasen, die Waschmaschine rumpelt leise und dienstfertig in der Kammer neben dem Arbeitszimmer und ich genieße die ungewöhnliche Stille dieses Moments – die Kreissägen von der Baustelle nebenan schweigen, kein nahes Hämmern oder Hundegebell durchbricht die akustische Hintergrundkulisse aus fernen Verkehrsgeräuschen der Stadt – Pune atmet für mich hier und jetzt Entspannung und Frieden.

Ich bin dankbar.

Ich sehe Shabundins begeistertes Lachen vor mir, als er mir sagt, dass er eine Kopie von Slumdog Millionaire ergattert hat, damit unser Besuch den Film sehen kann, ich umarme in meiner Erinnerung eine strahlende Shanti, wenn sie gegen Mittag die Wohnung betritt, um bei mir ihren Dienst anzutreten. Dann mache ich uns gewöhnlich einen Café Latte und gemeinsam sitzen wir für einen Moment des Innehaltens auf den Treppenstufen, die von der Küche in den Garten hinausführen. Wir sind mehr Freunde als alles andere und ich hätte mir vor knapp einem Jahr nicht träumen lassen, dass sich meine Familie noch einmal um mehrere erwachsene Familienmitglieder und eine zuckersüße Hundeschnute erweitert – auch das ist Indien.

So wird es langsam dunkel in Pune und ich sauge die kostbaren Momente der Stille in mir auf: Für einen Augenblick vergessen sind die Schikanen und Auseinandersetzungen des Alltags, des Lärms, der vielen Telefonate, der gnadenlosen Abgase, der Bettler und Siechenden, die es in dieser Stadt gibt und denen ich jeden Tag begegne. Dann ist Stille in mir, und Frieden.

Manchmal kann ich eine Melodie hören, so wie jetzt, und sie taucht immer dann auf, wenn ich einverstanden bin mit allem, was mir begegnet, aber vor allem mit mir selbst, denn das ist selten. Und doch weiß ich in diesem Moment, dass dies der Weg ist, mein Weg: Wenn mein jammernder Kopf aufhört zu nörgeln, und ich einfach das erlebe, was mir passiert. Ob es nun glibberige Hühnchenlebern zu schneiden oder einen Firmenvorstand herumzuführen gilt, wenn ich ganz im Moment bin, kann ich das Blau des Himmels sehen und die mannigfaltigen Geräusche um mich herum hören, und alles, alles ist schön.

In diesen Momenten macht alles Sinn, der Schweiss, der Dreck, die Freude, die Enttäuschung, die Hektik und die Erschöpfung. Dann ist sie da, die unerträgliche Leichtigkeit des Seins und mit ihr das Gefühl der unglaublichen Freude darüber, am Leben zu sein, atmen zu dürfen und Teil dieses Wunders zu sein, das sich Leben nennt, Leben in Indien.

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9 Responses to “The colours of my mood”

  1. Steffi says:

    Hallo Julia!

    WOW, das hast Du wirklich wieder toll geschrieben!
    Du hast übrigens viele stille Bewunderer Deines Blogs, die alle hin und wieder lesen und nur nix schreiben. Ich weiß das. 🙂

    Ich wünsche Dir viele solcher Momente, und daß dieses Gefühl immer überwiegen mag!

    Ganz liebe Grüße,
    Steffi

  2. jules says:

    Danke!
    Du machst mich ganz verlegen ;-))

    Ich wünsche jedem, dass er, egal unter welchen Umständen, solche Momente hat, denn ich glaube daran, dass es Frieden zu schließen gilt mit dem Leben, so wie es jetzt ist und nicht, wie wir es gern hätten. Wenn man das einen Moment kann, bekommt man eine Ahnung davon, wie es sein könnte, wenn man dem Leben keinen Widerstand entgegensetzt mit den eigenen Vorstellungen und Wünschen. Und dann ist Frieden. In einem selbst und auch da draußen.

    Aber der Weg ist lang. Solche Momente sind ein Anfang.

    Herzliche Grüße zurück,

    Julia

  3. sarangiji says:

    Hallo Julia,
    bist Du schon mal unter einer Laterne gestanden im Schnee bei Windstille und hast beobachtet, wie die großen Schneeflocken langsam nach unten schweben? Man sieht sie eigentlich nur als Schatten, bis sie den Boden erreichen, dann sind sie weg; sie sind mit dem Schnee auf dem Boden eins geworden. Es ist komisch. Sie schweben irgendwie zentral auf den Boden zu, weil eine zentrale Lichtquelle da ist.
    Ja, es gibt natürlich Erklärungen. Aber heute war ich wieder unter der Laterne gestanden und habe es beobachtet. Nur beobachtet. Es ist irgendwie hypnotisch.
    Schebt herunter, herunter, verschwindet. Schwebt, verschwindet. Gibt Ruhe und Bewunderung. Bewunderung für Gottes Schöpfung.
    Und das Größte ist, dass man sich darüber wundern kann, dass der Körper dies zulässt: da laufen chemische Prozesse in ihm ab; es gurgelt hier und presst dort; füllt sich hier und leert sich dort, alles ist in Bewegung, Du spürst es nicht und hörst es nicht und es läßt doch zu, dass Du meditieren kannst.
    Ein Wunder.
    In diesem Zustand der Ruhe, wie Du ihn auch beschreibst, sind großartige Erfindungen “ersonnen” worden: der Gedankenblitz. Woher kommt er?
    Kein Wunder, dass man hier an göttliche Eingebung denken muss.

    Die Bäume sind schwer vom nassen Schnee und auf dem Teich bildet sich eine opake Schicht. Unten drin sind die Fische.
    Können auch sie die Ruhe genießen?

    Gruß aus dem verschneiten Deutschland,
    Andreas

  4. Kerstin says:

    Hallo Julia,

    das hast Du schoen gesagt, das Leben so zu nehmen wie es ist und nicht, wie wir es gerne haetten. Danke fuer die Zeilen, dies werde ich mir beim naechsten “Anfall” (zu meckern gibt’s ja immer was..) bewusst machen und an Dich denken.

    Ich gehe zum Beispiel morgens immer bewusst aus dem Haus und freue mich ueber den blauen Himmel, die strahlende Sonne und das warme Gefuehl auf der Haut. In diesen Momenten bin ich auch einfach nur im Einklang mit dieser, hiesigen Welt.

    LG
    Kerstin

  5. admin says:

    @ Andreas: Ja, habe ich, unter einer Laterne gestanden, wenn der Schnee fällt – ist bezaubernd!

    Aber hätte ich das gewusst, dass bei Euch noch Schnee liegt, hätte ich meinen Schneemann-RSS-Feed noch nicht zu tauschen brauchen 🙁 Jetzt sitzt da ein Feed-lesendes Männlein auf der Parkbank, aber soweit seid Ihr wohl noch nicht, Ihr Frühjahrshasen…
    LG

    @ Kerstin: Schön, wenn es Dir gelingt, Dich daran zu erinnern, wenn Dich etwas ärgert. Weißt Du, ich habe festgestellt, dass man immer die Wahl hat, WIE man auf ein Ereignis reagiert und diese Erkenntnis finde ich sehr hilfreich. Man muss in den meisten Fällen nämlich gar nicht wütend werden. Wenn man sich dafür entscheidet, wütend zu werden, auch o.k. Aber man muss nicht. Und das erweitert den Kreis der Wahlmöglichkeiten ungeheuer. Und auch das eigene Wohlbefinden.

    LG nach Bengaluru 😉

  6. Kerstin says:

    Hallo Julia,

    da hast Du uneingeschraenkt recht, aber leider ueberrollen einen (mich) ganz oft die Emotionen. Deswegen: erst Kopf einschalten und dann sprechen/handeln.

    LG
    Kerstin

  7. sarangiji says:

    Jetzt hab ich schon wieder morgens und abends Schnee geschippt! Der Winter mag nicht aufhören.

    Komm, wir tauschen:
    Ich nehm die Sonne und
    Du nimmst den Schnee;
    ich nehm den lieben Hund,
    Du meine Fische im eisigen See;
    ich nehm den Fahrer und den Wagen;
    Du kannst morgens dem Schaffner im Zug (1.Klasse)hallo sagen;

    halt…
    Deinen Mann nehm ich nicht,
    meine Frau behalt ich wohl.
    Und die Kuhpisse Cola bestell für mich nicht,
    die find ich nicht so toll!

    Jetzt ruh ich mich erst mal aus, bei einem Glas heißen Wassers.

    Bis morgen früh beim nächsten Schne, es schneit nämlich schon wieder…

    tschüs
    Andreas

  8. jules says:

    Hallo Andreas,

    ich schenk Dir die Sonne
    behalt Deinen Schnee
    den Hund geb ich nie her
    das tut mir nur weh

    Fische hab ich selbst genug
    Du kannst mich nicht locken
    Und Zugfahren zur Arbeit
    Willst Du mich schocken?

    Nein, nein, da lob’ ich mir mein Indien hier
    Palmen und Wärme
    die schmecken schon mir

    Aber teilen will ich gern:
    drum schick ich Dir
    die Sonne,
    die Wärme,
    ein paar Palmen
    und einen Stern!

    Liebe Grüße

    Julia