Eine (kleine?) indische Tragödie…

Eine Ziege mit neugeborenem Zicklein vor einer Hütte

Bad news für Somar: Wenn mein Organisationstalent und bester-Freund-und-Frauenversteher Pech hat, sitzen er, Shanti und ihre kleine Familie inklusive Somars demenzkranker Mutter, ihrer Ziege Peanut und den beiden Zicklein ab dem Neujahrsmorgen auf der Straße, obdachlos und ohne Perspektive auf ein neues Zuhause, denn dafür ist kein Geld da: Somar hat nämlich, als er vor zehn Jahren das kleine Einraum-Haus an der Airport-Road kaufte, den Vertrag juristisch nicht prüfen lassen und das ist nicht gut für ihn, überhaupt nicht gut.

Leider befindet sich seine zehn-Qudratmeter-Hütte nämlich auf einem Grundstück, das dem Militär gehört. Daran ist grundsätzlich nichts verkehrt, bis auf die Tatsache, dass alle Häuser, die am Rande des Grundstücks errichtet worden sind, ILLEGAL gebaut wurden, somit jederzeit enteignet werden können, zum Abriss freigegeben, plattgemacht. Gottseidank hat sich das Militär bislang nicht gerührt.

Doch leider, leider ändert sich das gerade: Vor zwei Wochen kamen das erste Mal “Offizielle” vorbei, zogen mit Sand eine weiße Linie und teilten mit, dass hier, entlang der weißen Linie jetzt eine Mauer gezogen würde, vier Meter hoch und, leider, leider, mitten durch den Wellblechanbau, der das Badezimmer der Familie beherbergt.

Also: Der Anbau muss verschwinden, das heißt: Kein Bad mehr, und, mit Pech, keine Eingangstür, weil dort die Mauer stehen wird. Zugemauert, sozusagen. Leider kann man in dem Punkt auch keine Abhilfe schaffen, weil das Haus zu allen anderen Seiten direkt an andere Häuser grenzt.

Was also werden Somar und Shanti, Suwita und Sumit tun?

Keiner weiß es bislang. Alles hängt jetzt davon ab, ob das Militär tatsächlich die Mauer dort zieht, wo sie sie angekündigt haben. Wenn ja, steht zwar noch das Haus als tür-und fensterlose Ruine; es ist jedoch nicht mehr bewohnbar. Praktisch, dann hat sich für das Militär sogar der Abriss erübrigt und sie können Somars Hausmauer als Verstärkung verwenden. Heute kamen bereits Arbeiter um einhundert Meter weiter vorn den ersten Spatenstich zu tun. Und zwar genau auf der Sandlinie. Das Ende einer illegalen Idylle? Und das Ende eines Familienzuhauses?

Es bleibt zu hoffen, dass Indien sich in diesem Fall mal wieder als so flexibel erweist, wie wir es im besten (und manchmal schlimmsten) Fall gewöhnt sind: There are rules and regulations and a million ways around them. Ich hoffe auf Letzteres.

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25 Responses to “Eine (kleine?) indische Tragödie…”

  1. tomX says:

    Es gab auch schon so manch deutsche Staedte, die Straßen als auch Mauern, ja ganze Haeuserbloecke um erhaltenswerte Gebaeude herumgebaut haben. Warum sollte Somars Haeuslein nicht auch erhaltenswert sein? Ich hoffe, dass dies die dortigen Militaers noch rechtzeitig erkennen.

  2. jules says:

    Hallo Tom,

    es ist, wie immer, eie Frage des Standpunktes: Wenn sich das Militär stur stellt, dann ist das Haus in nächster Zeit weg, weil unbewohnbar. Ich mag mir gar nicht ausmalen, was dann mit Somar und seiner Familie geschieht. Eine Entschädigung wird jedenfalls nicht gezahlt, weil illegaler Bau. Dann: kein Geld, kein Haus.

    Wenn sie mitfühlend sind (oder durch Bakshish zu überzeugen), dann ziehen sie zwar die Mauer, aber eben so, dass man das Haus noch bewohnen kann… Das wäre der beste Fall, und der, auf den wir alle hoffen. Wenn nicht?

    Oh Weia.

    Ich halte Euch auf dem Laufenden!

  3. Kerstin says:

    Hallo Julia,

    der worst case waere also, das Haus wird entweder abgerissen oder so zugebaut, dass man es ohnehin nicht mehr bewohnen kann. Gibt es keine Moeglichkeit, das Haus irgendwo anders wieder aufzubauen? Aber wahrscheinlich hat er das Geld nicht dafuer, oder? Hat er irgendwelche Verwandten oder Freunde in Pune, die ihn und seine Familie aufnehmen koennten?

    Sprich doch mal mit einem der hohen Militaer-Fuzzies, ob und was man machen koennte.

    LG
    Kerstin

  4. jules says:

    Hallo Kerstin,

    die ganze Aktion ist jetzt für Sonntag vorgesehen: Somar hat noch vier Tage Schonfrist.

    Werde am Sonntag mit dabei sein, um vielleicht helfend eingreifen zu können, aber Somar meinte schon, das brächte vermutlich nichts – das Militär würde das eher als Einmischung einer überheblichen Europäerin betrachten. Aber ich werd´s trotzdem versuchen.

    Freunde, Verwandte? Njet, meine Tochter, jedenfalls keine, die genug Platz und Großzügigkeit besäßen, die fünfköpfige Familie plus Tieren aufzunehmen.

    Und neu aufbauen? Legales Land ist Mangelware und teuer…

    Also auf Anteilnahme, Einsicht und Flexibilität hoffen!

    Ich wünsch Dir jedenfalls einen guten Start in 2009 – Feiert schön!

    LG

    Julia

  5. Kerstin says:

    Hallo Julia,

    na das scheinen ja trostlose Aussichten zu sein, Himmel. Aber berichte mal, wie’s weitergeht.

    Ich wuensche Dir, Kalu und U. (unbekannterweise) ebenfalls einen guten Rutsch in’s neue Jahr, feiert schoen und Vorsicht mit den Chinaboellern;D

    Liebe Gruesse
    Kerstin

  6. jules says:

    Machen wir (vorsichtig sein!), Ihr aber auch !

    Bis bald im neuen Jahr 😉

    J.

  7. Daniela says:

    Sehr verzwickt. Ich kann nicht verstehen, warum das Militär zehn Jahre gewartet hat. Man hätte sofort alles abreißen müssen. Gleichzeitig vertrete ich den Standpunkt, dass Unwissenheit nicht schützt, und dass man irgendwann durchgreifen muss. Es geht einfach nicht, wenn man immer alles durchgehen lässt. Diese ständige lasche Haltung hat Indien dahin gebracht, wo es heute ist, und wie soll es sich bitte aus dem Morast ziehen, wenn alle immer gleich auf die Tränendrüse drücken? Wenn morgen mein Haus abgerissen wird, weil es auf illegalem Grund steht und ich das beim Einzug nicht überprüft habe, weint dann auch wer, oder fühlen wir uns nur für die Armen schlecht, weil sie es “nicht besser wussten”?

    Gesundes Neues!

    LG
    Daniela

  8. Kerstin says:

    Hallo Daniela,

    auf der anderen Seite kann aber genau derselbe Staat, der diese illegale Bauweise ja letztendlich zuliess, nun auch nicht einfach kommen und sagen “sorry, wir haben uns lange nicht gekuemmert, aber jetzt haben wir es uns anders ueberlegt und fangen natuerlich erstmal bei den Mittellosen an. Und selbstverstaendlich bekommst Du keine Alternative, denn wir achten nur auf das Gesetz und sind nicht Schuld an illegalen Bauten”.

    Wenn unser Haus morgen abgerissen werden wuerde, koennen wir uns aber wenigstens eine Wohnung suchen oder einen Kredit aufnehmen, weil wir das Geld dafuer haben.
    Unwissenheit schuetzt vor Strafe nicht, das ist richtig. Aber Menschen, die wahrscheinlich nicht mal lesen koennen (woran der Staat ja nun auch nicht ganz unschuldig ist), haben aus meiner Sicht weniger Moeglichkeiten, sich vor dem Bau entsprechend zu informieren. Zumal die indische Buerokratie ja nun nicht gerade vor Klarheit strotzt.

    Fuer die Armen schlecht fuehlen, weil sie es nicht besser wussten, ist, denke ich, nicht das Thema. Sondern Arme koennen sich in aller Regel aufgrund ihrer fehlenden Bildung und des damit fehlenden Geldes schlechter wehren (vor dem Bau und nach dem Abriss) als wir. Das ist zumindest mein Standpunkt, warum ich dieses Durchgreifen nach Zulassen von illegalen Bauten und Korruption verurteile.

    LG
    Kerstin

  9. admin says:

    Ganz genau, Kerstin!

    Ich verurteile diese Doppelmoral: Erst jahrzehntelang dulden (das Haus hat ja auch schließlich schon existiert, BEVOR Somar es kaufte), und dann, wenn man sich vielleicht daran erinnert, dass die Bauten ja eigentlich illegal sind, und wenn es, aus welchen Gründen auch immer, gerade in den Kram passt, abreißen: Das ist die lasche Haltung, die Tragödien wie diese heraufbeschwört, denn immer wieder suchen sich arme Menschen NATÜRLICH ein Stückchen billiges Land, auf dem sie bauen können, bzw. ein günstiges Haus. Dann doch bitte von vornherein Klarheit. Und klare juristische Grenzen, die dann auch beachtet werden. Und zwar von allen.

    Abgesehen davon: Würde so etwas passieren, wenn Somar reich wäre?

    Ich bin mir sicher, nein. Auch dann gäbe es wieder Extra-Würste, sprich Wege um die Gesetzgebung herum. Und abgesehen davon scheint mir Kerstin auch in einem weiteren Punkt Recht zu haben: Somar kann nicht lesen und schreiben; und er hatte sicher auch keine extra-Rupien für gierige Anwälte übrig.

    Kann ich ihn dafür verurteilen? Ich meine, nein.

    Tatsache für mich ist, dass Indien ein gewaltiges Problem hat, das vor allem darin besteht, dass hier viel zu oft mit zweierlei Maß gemessen wird. Die Reichen können sich von nahezu allen Vorschriften freikaufen, die Armen bleiben (verkürzt gesprochen) auf der Strecke. So läuft das nicht. Gleiches Recht UND gleiche Chancen für alle. Und das fängt nicht zuletzt mit der Bildung an.

    LG

    Julia

  10. sarangiji says:

    Wenn hier in Dt. eine Mauer um ein militätisches Gelände gezogen würde, dann gäbe es auf der Seite von Somar, also ausserhalb, eine mehrere Meter breite Sicherheitszone, so dass das Gelände überwacht werden kann und ein Übersteigen der Mauer unbemerkt nicht möglich wäre. Somars Haus müsste also in jedem Fall weichen, da es ein sicherungsrelevanter Störfaktor ist. Wozu zieht man sonst eine Mauer?
    Wollte die Armee ihre Interessen wahren und Somars Haus bestehen lassen, müsste die Mauer mindestens 5 Meter weiter seitlich gebaut werden. Das wird nicht geschehen, zu viel Gelände ginge verloren.
    Und gerade jetzt hat die Armee jedes Recht aktiver denn je zu werden, mit der Bedrohung durch den Terrorismus und vielleicht auch Pakistan.
    Aber vielleicht spreche ich hier von dt. Verhältnissen, und Indien ist ganz anders. Da mag etwas sicherungsrelevant sein, aber die Sache wird nicht bis zum Ende durchdacht und nur zu 50% verwirlicht.
    Mal sehn wie’s wirklich läuft.
    Wäre ein interessanter Fall als Film nach dem Abendbrot, beim Chipskauen – nur leider trifft es keine Statisten sondern reale menschliche Existenzen.
    Involviere Dich nicht zu sehr, verbrenn Dir nicht die Finger, Julia, die Welt ist voll von Ungerechtigkeiten, da kann man sich kaputtmachen bei.

    LG
    Andreas

  11. Daniela says:

    “das vor allem darin besteht, dass hier viel zu oft mit zweierlei Maß gemessen wird. Die Reichen können sich von nahezu allen Vorschriften freikaufen, die Armen bleiben (verkürzt gesprochen) auf der Strecke.”

    Wieso diese vereinfachte Weltsicht? Es gibt nicht nur Arm und Reich. Es gibt eine ganz gewaltige Mittelklasse, die sich mit Ach und Krach durchkämpft und immer hart an der Grenze entlang schrammt auf der Suche nicht nach der S-Klasse, sondern grundsätzlichen Dingen wie Wasser, Strom, Telefon und Schulbildung. Das sind dieselben (!) Probleme, die die sog. Armen haben, aber keiner drückt sich für die Mittelklasse eine Träne raus. Die zählen immer gleich als diejenigen, die sich freikaufen können. Ich garantiere dir, wenn morgen mein Haus illegal ist, habe ich ebenso wenige Anlaufstellen wie Somar, und keine Sau interessierts, denn ich bin ja “reich”. Ich habe diese “Arme Arme, böse Reiche” Klassifizierung echt satt, und Nein, ich habe kein Mitgefühl mit Somar. Es ist gefährlich, diese Leute als naive Dümmlinge zu kategorisieren. Glaubst du wirklich, die wissen nicht, wie sie kriegen, was sie wollen? Sie sagen dir, sie wussten es nicht. Aber kein Slum ist legal, und schon gar nicht vor zehn Jahren, aber sie wissen ja, dass sie auf die gesellschaftliche Tränendrüse (und die Votebanks) zählen können, und dann wird – wie in Bombay – ein gigantischer Slum nach dem anderen legalisiert. Die wissen alle, was sie da kaufen: Eine relativ große Chance, in Zukunft für ein paar Krümel ein Haus in Prime Location zu haben. So dumm sind die nicht, keine Angst. Zumal du nicht von der Person gesprochen hast, die das Haus gebaut und verkauft hat. Das war auch bloß irgendein Slumlord, der kräftig abkassiert, und das sind die wahren Verbrecher.

    Vielleicht bau ich mir auch eine Wellblechhütte auf dem Land der Railways entlang der Local Train Linien in Mumbai. Ich weiß, dass ich dafür Unterstützung von “Builders” bekomme, die so viel politischen Muskel besitzen, dass die Hütten ein paar STunden nach dem regelmäßigen Abriss durch die indische Bahn gleich wieder aufgebaut sind. Und wenn man das ein paar Jahre gemacht hat, dann “hat man dort schon seit zehn Jahren gewohnt, ohne was zu wissen”, und schon hat man ein Haus. Bis vor kurzem gab es da nämlich noch ein Gesetz, dass es Besetzern erlaubt hat, ein Grundstück rechtlich für sich zu beanspruchen, wenn sie es nur lange genug besetzt hatten – auch wenn du die Kaufurkunde in der Hand hast und alle Papiere in Ordnung hast: die Besetzer hätten vor jedem Gericht gewonnen. Das wurde gerade erst abgeschafft. In Indien haben die dreißten und “Armen” schon immer gewonnen, auch wenn ein Slumhaus neben dem Military Ground für uns nicht sofort als Gewinn ersichtbar ist. Der wartet noch zehn Jahre und verkauft es für fett Geld – das schafft kein Mittelklassevater von fünf, der seinen kleinen Laden führt. Wenn du von Doppelmoral sprichst, dann bitte bedenke, dass es zwischen den unverschämten “Armen” und den pervers Reichen noch ein paar Gruppen dazwischen gibt, die nicht ständig jammern und sagen, sie hätten es nicht besser gewusst.

    LG
    Daniela

  12. Kerstin says:

    Indien sollte einfach lernen, nicht immer nur an den Auswirkungen rumzudoktern, sondern an den Ursachen. Die Ursache fuer illegal verkauftes Land liegt aus meiner Sicht a) an der Korruption und b) an den vielen ungebildeten Menschen, die kein Geld haben, um sich legales Land/Haeuser zu kaufen, so dass ihnen letztendlich der Umstand (legal oder illegal auch egal ist).
    Warum sind sie ungebildet? Weil es dieses Land einfach nicht schafft, flaechendeckend Bildung als Recht UND Pflicht (also kontrollieren, wie in Deutschland) durchzusetzen. Denn ein gebildetes Volk hat es nicht noetig, sich illegale Slums aufbauen zu muessen, da es ueber mehr als nur eine Handvoll Rupies verfuegt. Das ist fuer mich das eigentliche Problem.

    Ich gebe Dir recht Daniela, wenn wir unser Heim verloeren, wuerde sich auch keiner kuemmern. Aber wie ich schon gesagt habe, sind unsere Moeglichkeiten, uns ein neues zu schaffen, weitaus groesser, weil wir durch unsere Bildung in der Lage sind, Jobs nachzugehen, die zumindest soviel Geld bringen, dass man damit recht eintraeglich leben kann. Da geht es auch nicht um jammern, sondern um die unterschiedlichen Moeglichkeiten, die die verschiedenen Schichten haben, oder eben gerade nicht haben.

    Ich bezweifle auch nicht, dass die Armen wissen, was sie tun, wenn sie auf illegalem Grund bauen oder Haeuser kaufen. Aber wenn es das gar nicht erst gaebe, waere ihnen der Naehrboden dafuer entzogen.

    Das Hundeproblem geht fuer mich in dieselbe Richtung: Erst wird jahrzehntelang gar nichts getan, dass diese Hunde keine Nahrung (Muell) finden, um sich lustig zu vermehren. Wenn sie dann aber zuviel werden und Sterilisation zuviel Geld kostet, werden sie kurzerhand getoetet. Hier wieder mal ein eindeutiger Beleg fuer die Unfaehigkeit, zwischen Ursache und Wirkung zu unterscheiden und den Naehrboden zu entziehen (dauert ja auch zu lange).

    LG
    Kerstin

  13. sarangiji says:

    Ich stell mir den indischen Staat als Kampfwagen vor, auf dem etliche Wagenführer sitzen. Vorne gibt es eine Vielzahl von Pferden. Die Pferde wollen alle nach vorne, die Wagenführer auch, abe die Pferde ziehen in unterschiedliche Richtungen und die Wagenführer geben verschiedene Befehle in unterschiedlichen Sprachen. Der Wagen wirbelt hinten unheimlich viel Staub auf, kommt nie ans Ziel und versinkt nach einiger Zeit fast im Sumpf.
    Der Wagen fährt zu schnell.
    Käme man überien, die Pferde zu zügeln, dann könnte man mit gemächlicher Fahrt unter Zurücknahme falscher Befehle und Übereinkunft über richtige Befehle, durch rechtzeitiges geordnetes Entfernen von Hindernissen und Nachfragen über die richtige Route geordnet zum Ziel kommen.
    Aber die Pferde gehen halt durch.
    Leute, die im Weg stehen und Gebäude und Lichtmaste, die nicht durch eigene Kraft ausweichen können, bleiben auf der Strecke.
    Hey Allah,
    da kann nur Allah helfen.

    LG
    Andreas

  14. jules says:

    Hallo Daniela,

    …”aber keiner drückt sich für die Mittelklasse eine Träne raus. Die zählen immer gleich als diejenigen, die sich freikaufen können.”

    Das habe ich weder geschrieben, noch gemeint: mit “reich” meinte ich richtig reich. Und Du wirst nicht bestreiten wollen, dass sich die Oberschicht nahezu alles erlauben kann, Zahlungsfähigkeit und Beziehungen vorausgesetzt. Sogar das Freikaufen von fahrlässiger Tötung etc.

    Ich finde es berechtigt und richtig, dass Du in meiner (das habe ich ja oben bereits angesprochen) VEREINFACHTEN Betrachtung für die Mittelklasse eine Lanze brichst – Sie ist mit Sicherheit die Leid tragende Schicht, denn sie hält sich brav an die Gesetze, bezahlt brav ihre Steuern, bekommt nichts geschenkt und hält den Laden am Laufen. So ähnlich wie in Deutschland.

    Allerdings habe ich in meinem Post auch nicht versucht, das Verhältnis von Mittel-, Unter- und Oberschicht zu beleuchten, sondern lediglich ein Einzelschicksal beschrieben, das mir am Herzen liegt.

    Die zu Grunde liegenden Probleme sind sicher komplexer und ich denke, Du wirst mir in einem Punkt zustimmen, den ich für sehr wesentlich halte, und den ich auch bei meinem Post im Kopf hatte: Ich denke, für Indien insgesamt wäre es sehr wichtig RECHTSSICHERHEIT zu schaffen, und zwar für alle.

    Das heißt, dass weder der Arme, ob naiv oder berechnend, die Chance bekommt, durch seine Bauten auf illegalem Land ein kleines Grundstück in Prime Location für Peanuts zu bekommen, noch der Reiche (und damit meine ich nicht die Angehörigen der Mittelschicht) sich durch Beziehungen oder Geld alles leisten kann in diesem Staat.

    Und, vielleicht habe ich das nicht deutlich genug gemacht, ich finde es eine Riesensauerei, dass widerum Politiker sich durch gekaufte Stimmen profilieren und damit weiterem illegalem Verhalten Vorschub leisten, weil das die Hoffnung birgt, mit illegalem Verhalten weiter zu kommen – das nützt niemandem und etabliert nur weiterhin eine Kultur der (politischen) Korruption. Und das ist das letzte, was dieses Land aus meiner Sicht braucht.

    Also, egal welche Schicht: Rechtssicherheit und Gesetze, die dann aber auch für (und gegen) jeden gelten und langfristig durchgesetzt werden – würde jedem nützen, auch der tapferen Mittelschicht, oder?

    LG

    Julia

  15. Kerstin says:

    Sehr gut Andreas, Deine Schilderung trifft den Nagel auf den Kopf, dem ist nichts mehr hinzuzufuegen.

    LG
    Kerstin

  16. anu says:

    In Indien werden viele Gesetze umgangen, vor allem was illegale Landnahme betrifft. Da gibt es viele nicht genemigten, illegalen Bauten, meistens direkt an Strassen, in der Stadt oder eben auf Streifen ungenutztem Land. Jeder der sich so eine Huette kauft oder baut, weiss ganz genau, dass es illegal ist, aber das kuemmert viele nicht. Sie bauen sich dort was hin und hoffen, dass es niemanden stoert, das es irgendwann einmal legal wird. Das hat auch nicht viel mit Bildung zu tun oder gar mit Reichtum. Reiche Leute kaufen sich Grundstuecke die in Seen liegen und von daher ebenfalls illegal sind. Sie werden ebenfalls enteignet und koennen dagegen nicht viel machen, hoechstens auch die langsamen Muehlen der Justiz hoffen. Manche wissen nicht mal, dass sie illegalen Grund besitzen. Auch sie werden ihn los. Unwissenheit schuetzt nicht vor Strafe.
    Und wer so ein Haueschen mit Wellblechdach irgendwo in den Staub setzt, der weiss ganz genau, dass er illegal Land beansprucht.
    Indien ist gross. Oft dauert es eine Weile, bis es aufaellt. Hin und wieder wird es politisch gedeckt oder es wird ein Auge zugedrueckt. Aber irgendwann wird das Land benoetigt um eine Mauer/Strasse/Bruecke/etc. zu bauen. Dann kommen die Bagger und das zurecht. Denn welche indische Stadt wird nicht durch seine zahlreichen illegalen Gebaeude erdrueckt. Bei uns in Udaipur war ueber Jahre hinweg kaum ein Durchkommen. Dann rueckten die Bagger an und die Strassen wurden verbreitert. Hunderte Buden wurden plattgemacht, sogar zahlreiche illegale Tempel. Der Aufschrei war enorm. Aber jetzt fliesst der Verkehr wieder, man kommt als Fussgaenger durch, die Stadt kann wieder atmen. Und ich denke das nennt man oeffentliches Interesse.
    Wenn in Spanien ein oeffentliches Interesse besteht, koennen legale Hausbesitzer/Landbesitzer enteignet werden. Das geht zack zack. In Indien geht das nicht so schnell. Da hast du mehr Rechtmittel in der Hand. Da kannst du sogar illegalen Besitz ueber Jahre hinweg behalten, siehe das Gesetz welches Daniela erwaehnt hat. Nein, Indien ist in diesen Dingen schon ein Rechtstaat, auch wenn die Muehlen des Gestzes oft langsam mahlen und wer Geld hat, kann da sicherlich vieles hinauszoegern. Aber illegal ist illegal, auch wenn mit Unkenntnis erlangt. Und da ist es wirklich egal wie viel Geld jemand besitzt.
    Vielleicht gibt es eine Ausnahme fuer Superreiche, aber immer nur sagen die Armen die bleiben auf der Strecke, das ist eine arge Vereinfachung.

    lg
    anu

  17. Daniela says:

    Hallo Julia,

    ich verstehe deine Motivation: Wenn man die Leute kennt, denen solche Dinge passieren, dann kann man sich in ihre Situation versetzen. Ich versuche allerdings, diese Situation moeglichst wenig zu verstehen. Wenn ich anfange, Zugestaendnisse (auch in meiner privaten Welt oder nur gedanklich) an “diese Menschen” (also Betroffene) zu machen, dann koennte ich niemanden mehr von dieser humanitaeren Sicht ausgrenzen. Waehrend meiner vierwoechigen Abwesenheit hat sich zum Beispiel die Zahl der Leute auf einem kleinen Streifen Fussgaengerweg, an dem ich staendig vorbei fahre, verDREIfacht. In wenigen Monaten werden sie beginnen, Zelte dort zu bauen. Dann irgendwann gehen sie zu Wellblech ueber. Und dann kommen die Ziegelsteine. Und in zehn Jahren sind sie meine oder deine Maid und klagen uns ihr Leid, weil ihnen Unrecht widerfaehrt. Das habe ich echt satt. Mit Mitleid ist in diesem Land leider Gottes niemandem geholfen.

    (Vielleicht… oder sehr wahrscheinlich bin ich auch in sehr provokativer Verfassung, da ich keine Lust hatte, nach Indien zurueckzukehren, und ich mich gerade fragen, was ich in diesem Sumpf aus menschlicher Dummheit ueberhaupt tue.)

    LG
    Daniela

  18. jules says:

    Hallo Daniela,

    ich kann mich gut in Dich hineinversetzen. Immerhin lebst Du schon recht lange hier und irgendwann ist der Reiz des Neuen und die Exotik einfach weg – übrig bleiben die nackten Fakten und die sind, wie man ja auch an den Reaktionen bemerkt, definitiv unbequem, manchmal sogar gefährlich. Da kommt man bestimmt manchmal an seine Grenzen und fragt sich, was man denn überhaupt hier macht.
    Wünsche Dir trotzdem ein gutes Wiedereinleben und freue mich, wenn Du uns an Deinen Gedanken teilhaben lässt. Was sagt denn der Bentley zu dem Thema?

    Schreib drüber!

    LG, J.

  19. Kerstin says:

    Hallo Julia,

    war nicht am Sonntag der Termin mit dem Militaer? Was ist dabei herausgekommen?

    LG
    Kerstin

  20. jules says:

    Hallo Kerstin,

    tja, wie immer, wir sind in Indien: Natürlich ist am Sonntag niemand aufgetaucht, um genauer zu sein: Bis heute nicht. Und heute haben wir Donnerstag.

    Natürlich auch keine Benachrichtigung oder Verlegung des Termins – einfach gar nichts. Die Familie hängt nach wie vor in der Luft und weiß nicht, ob sie demnächst Hals über Kopf ausziehen muss oder anbauen kann.

    Immerhin hat Somar die Zwischenzeit genutzt um in in Frage kommenden Wohngegenden schon mal nach kleinen Miethäuschen zu gucken und ist etwas weiter außerhalb auch fündig geworden: Für 2000 Rupien könnten sie dort ein Kleinst-Haus beziehen, immerhin, ein Dach über dem Kopf.

    Aber nichts genaues weiß man nicht, oder wie war das?

    Ich schreibe, sobald ich was weiß.

    LG

    Julia

  21. Kerstin says:

    Hallo Julia,

    na das ist doch schon mal was. Aber hoffentlich ist es diesmal eine legale Angelegenheit….

    LG
    Kerstin

  22. jules says:

    Hallo Kerstin,

    ich weiß nicht, ob diese kleinen 2000-Rupien-Häuser legal sind oder sein können, bei dem Preis?! Das könnte zum Beispiel adam vermutlich besser beurteilen.

    Wie dem auch sei: Gesetzt der Fall, Somar müsste ausziehen, verliert er nicht nur sein Haus ohne Gegenleistung (was er ja irgendwann einmal gekauft hat) sondern muss auch noch einen erheblichen Anteil seines geringen Gehalts für Miete ausgeben. Ist natürlich ein Verlustgeschäft für ihn.

    Wir werden sehen!

    LG
    Julia

  23. Kerstin says:

    Hallo Julia,

    man muss doch herausbekommen koennen, ob diese Haeuser legal sind, oder? Denn sonst wuerde es ja keinen Sinn machen, dann waere ein erneuter Verlust vorprogrammiert.

    Seine Frau koennte ja auch bei ein bisschen dazuverdienen, es muss ja nicht immer alles auf dem Ruecken des Mannes lasten. Gerade in armen Familien sehe ich hier oft, dass die Frauen mitarbeiten und sich jemand aus der Community um die Kinder kuemmert. Wenn man muss, geht vieles.

    Als was arbeitet er eigentlich? Hast Du vielleicht schon mal geschrieben, aber ich kann’s gerade nicht finden, sorry.

    LG
    Kerstin

  24. jules says:

    Hallo Kerstin,

    die von ihm besichtigten Häuser wären sowieso nur Übergangslösungen, weil zu weit außerhalb. Shanti, seine Frau arbeitet bereits unter anderem bei mir als Putzfrau, soweit sie Kinder und demente Großmutter allein lassen kann. Die Möglichkeiten sind also schon ziemlich ausgeschöpft.

    Werde aber heute hoffentlich mehr erfahren: Gestern ist sie bei mir nicht zur Arbeit gekommen, ich nehme an, dass sich da am Wochenende etwas getan hat, ohne dass sie sich bei mir gemeldet hat. Ist nämlich sonst zuverlässig, die Süße. Leider hab ich selber im Moment ziemlich viel um die Ohren und hab wenig Zeit. Wenn ich es schaffe, fahre ich heut Abend nochmal vorbei.

    Somar ist bei einem Makler (Immobilien, speziell für Expats und reiche Inder) als Mann für alles beschäftigt – Er wickelt eigentlich die ganzen Dinge ab, die mit einem Bezug der Wohnung (Reparaturen, Streichen, Sonderwünsche) in Zusammenhang stehen. Eigentlich schmeißt er den Laden, und Vivek, sein Boss, streicht die Courtage ein…und Somar wird mit ein paar Kröten abgefunden.

    LG
    Julia

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