Kalu, der Küchenhund.

Ich weiß nicht, was es ist, was die Magie eines Hundes ausmacht: Ist er der charakteristische Pfötchengeruch, ein bisschen Schweiß, viel Hund? Ist es das seidige, hellbraune Fell, das so gut nach Baby riecht? Ist es das Paar schwarzer Knopfaugen, das Dir so völlig ohne Argwohn mitten ins Herz sieht, voller Vertrauen, voller Zuversicht, denn das ist alles, was ein Hundewelpe kann? Sind es die langen schwarzen Wimpern und die Barthaare, oder ist es das rosa Bäuchlein, das Dir entgegengestreckt wird, damit Du es kraulen kannst?

Es ist auch völlig egal, was es ist: Ich bin verliebt, denn ich fand Kalu. Oder fand er mich?

Auf jeden Fall bin ich am letzten Samstag im letzten Tageslicht mit meinem Fahrrad durch den Koregaon Park gestreift – absichtslos, nur dabei, ein wenig indisches Alltagsleben zu genießen, den Kopf frei zu bekommen beim Fahrradfahren – zuviel ist passiert, vergangene Woche, U. war immer noch nicht da und ich hatte den ganzen Tag vor dem Rechner gesessen – also: raus!

Ich fuhr auf der siebten Lane in Richtung Bahnübergang, eine Gegend, die ich mir schon lange einmal vorgenommen hatte, mit dem Fahrrad zu erkunden, als ich in einer Sackgasse bei den Slums einen braunen, schwarznasigen, langbeinigen Hundewelpen entdeckte: Nicht mehr wirklich klein, lag er in eine Erdkuhle gekuschelt und ich dachte nur: “Mann, ist der süß!” Also angehalten, Fahrrad abgestellt, und nichts wie hin… Tja, und da lag er nun und ließ sich kraulen, ganz devot, frenetisch bewacht von einem großen, gefleckten Rüden, der mich verbellte.

Aber Kalu blieb ganz gelassen, streckte mir sein verflohtes Bäuchlein entgegen und ich war hin und weg: Diese braunschwarzen Augen, diese lange schwarze Schnauze, sein seidiges Fell, sein Vertrauen zu mir! In diesem Moment brannten alle Sicherungen durch: Was, wenn ich alle Bedenken über Bord werfe und den kleinen Scheißer einfach mitnehme?

Mittlerweile standen 20 Inder um mich herum, die meisten Frauen, lange Saris, breites Lachen: Was will die Ausländerin denn hier? Auf dem Fahrrad? Was hat sie nur mit diesem Hund? Lauter Fragezeichen in ihren Gesichtern, aber das war mir egal. Schwitzend beugte ich mich über das kleine braune Wesen, ganz Mutterinstikt, ganz Hüterin: Ich konnte doch dieses wunderbare Hundebaby hier nicht einfach seinem verflohten Schicksal überlassen, voller gefährlicher Hundekrankheiten, neben den Eisenbahnschienen, keine Perspektive! Und diese Augen…

Ich fragte nach: “Anybody who speaks English around here?”

Kollektives Kopfschütteln, all smiles – “No only Marathi or Hindi!”

Machte nix – ich krauelte weiter. Frenetische Gedanken: Soll ich? Kann ich? Was wird U. dazu sagen? Ein neuer Hund?

Schließlich kam ein Inder auf mich zu: “Do you want to take the dog?”

Mein Kopf nickte wie auf Schienen, glühende Ohren, aus meiner trockenen Kehle zwang sich ein: “Yeah, I gladly would!”

“Then – take him!”

Das war es – das war die Stunde der Wahrheit. Hundert Mal hatte mein quengelnder Kopf laut und deutlich “Nein” gesagt, jetzt war sämtlicher Widerstand dahin. Alle Bedenken hinfortgewischt, in einem unachtsamen Moment, in dem der Verstand vom Herz einfach weggeblasen wurde. Nur wie sollte ich den kleinen Scheißer nach Hause bekommen?

“O.K. But do you have any kind of collar, a rope or anything?”

“Yes, I`ll get you one!”

Und, tatsächlich brachte er wenige Minuten später ein Halsband, sogar ein richtiges Hundehalsband, das ich Kalu umlegte – mein kleiner Hund!

Dann gab es da ein kleines Transportproblem: Ich auf dem Fahrrad, zehn Kilo Kalu in einer Hand: Ich weiß nicht, wie lange ich das durchgehalten hätte. Also Riksha. Ich fragte den freundlichen Inder nach einem “Auto” und er besorgte eins. Es wurde ein Triumphzug mit gemischten Gefühlen: Ich in der Riksha mit Kalu auf dem Schoß vorneweg, ein anderer Inder auf meinem Fahrrad hinterher – so sausten wir durch Pune. Währenddessen rasende Gedanken: Was wird U. sagen, wenn ich morgen mit dem Kleinen auf dem Flughafen stehe, was machen wir, wenn wir nächste Woche in Deutschland sein werden, was mache ich überhaupt mit dem Racker, wenn wir unterwegs sind? Und, noch kritischer: Bist Du eigentlich völlig durchgeknallt? Das letzte, was Du jetzt brauchst, ist ein kleiner Hund! usw. usw.

Aber ich hatte mich entschieden und es gab kein Zurück: Kalu war auf dem Weg in unsere Wohnung, mit mir, in meinen Armen, mein neuer Schutzbefohlener, jetzt musste ich da durch. Kalu, die Schwarznase, schmiegte sich zufrieden in meine zitternden Arme bis wir endlich unsere Society erreichten. Home!

Seitdem sind vier Tage vergangen: Ich habe am Sonntag einen überrumpelten U. vom Flughafen abgeholt, wir hatten eine verdammt unruhige Nacht, unsere Fliesen sind nicht mehr weiß, sondern hübsch gestempelt mit braunen Pfötchen-Abdrücken, und gelegentlich mit kleinen Pfützen. Davon hatten wir in der ersten Nacht viele: In der Küche, in Wohn- und Arbeitszimmer. Nächtlicher Wischdienst, wenig Schlaf. U. war zurecht genervt, ich auch, aber was soll man tun, wenn man sich verliebt hat? Man greift zum Lappen, wischt die Pfütze weg und schläft hoffentlich weiter.

Seitdem leben wir zu Dritt, zwei Menschen, ein Hund, und meine Welt ist wieder komplett: Ich verbringe Stunden damit, diesem kleinen, neuen Lebewesen dabei zuzugucken, wie es frisst, schläft, spielt und hoffentlich gedeiht. Er ist so komplett anders als Assai – Assai war ein selbstbewusster Draufgänger, Kalu ist das Gegenteil- ein schüchterner Welpe von ca. viereinhalb Monaten, easy to please, easy to love.

Ich hoffe nur, dass alles gutgeht: In den ersten Tagen musste Kalu gleich an den Tropf – ein fiebriger Infekt, der Tierarzt meinte, ein Virus. Und auch jetzt hat er noch Durchfall, weswegen er noch nicht geimpft werden konnte, meine größte Sorge. Am schlimmsten ist, dass wir am Sonntag nach Deutschland fliegen und ich für eine Woche Kalu den hoffentlich kompetenten Hände der Mitarbeiter einer Pension anvertrauen muss, die allerdings eine 24-Stunden-Betreuung bietet und eng mit Tierärzten und Tierschutz zusammenarbeitet.

Aber: Kalu ist von der Straße weg, und wir haben einen neuen Hund. Der vorzugsweise in der Küche liegt und den Kühlschrank bewacht. Kalu-Küchenhund hat Einzug gehalten. Echt Zucker, die Schnute!

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5 Responses to “Kalu, der Küchenhund.”

  1. anu says:

    Herzlichen Gleuckwunsch zum neuen Familienmitglied,
    ich hoffe Kalu entwickelt sich praechtig und macht euch nur Freude.
    Wichtig ist die Staupe Impfung. Vor allem junge Hunde sterben immer wieder durch Staupe. Lasst euch vom Tierarzt beraten und haltet ihn von anderen Strassenhunden fern. Es gibt leider viele verschiedene Arten von Staupe, so das auch die Impfung nicht immer 100% schuetzt.
    Und Staupe, wenn nicht toedlich, schaedigt die inneren Organe, befaellt das Nervensystem und schaedigt das Immunsystem.
    Wir haben gerade auch Welpen von einer Strassenhuendin im Hof. 5 Stueck, einer suesser wie der andere. Ich bin auch schwer in Versuchung. Mal sehen. Es ist immer ein Balanceakt. Einerseits moechte man, dass es den Rackern gutgeht, andererseits, wenn alle ueberleben gibt es noch mehr Strassehunde und das wiederum fuehrt zu grossen Problemen.
    Leider muss man da immer realistisch bleiben. Ich habe solche Wuerfe schon oft gesehen. Normalerweise sterben die Kleinen Welpe um Welpe. Wenn einer ueberlebt, dann ist das schon viel.
    Was tun? Am besten waere es alle kastrieren/sterilisieren zu lassen und den Bestand durchzuimpfen. In Jaipur hat man so die Tollwutrate gegen null gedrueckt und den Strassenhund-bestand erfolgreich reduziert.
    Hier in Udaipur gibt es leider in dieser Hinsicht ueberhaupt keine Bemuehungen.
    Es gibt zwar eine Organisation zum Tierschutz, aber die sind damit beschaeftigt 3-beinige Hunde durchzufuettern und mit den Haltern von Hochzeits-Pferden zu streiten.

    Ich wuensche euch auch einen schoenen Deutschland-Aufenthalt!

    lg
    anu

  2. jules says:

    Hallo Anu!

    Danke für Deine Glückwünsche – ich hoffe, Kalu schaffts! Aber es sieht ganz gut aus: Nachdem er heute morgen noch Durchfall hatte, ist mit der Rückkehr zu fettarmer Hühnerbrust und Reis Ruhe in seinem Magen eingekehrt. Er hat ganz viel gespielt und ist nicht mehr so lethargisch wie die ersten Tage. Toi, toi, toi!

    Schlimm ist nur, dass man sich wirklich große Sorgen macht, wie bei einem Kind. Manche werden sicher sagen: “Ist doch nur ein Hund”, aber so kann ich das nicht sehen.

    Tja, die Straßenhunde! Ich verstehe Dich vollkommen: Auch ich könnte sie permanent mitnehmen – bei Kalu hab ich das endlich getan!
    Überlegs Dir: Ihr habt doch eine Farm, oder? Da könntest Du doch? Wie gesagt: Ich weiß nicht, was es ist, aber ich lieb sie einfach.

    Hätte Tierarzt werden sollen – dann hätte ich jetzt alle Hände voll zu tun und würde unentgeltlich das tun, was Du vorschlägst. Das wäre toll! Aber Indien hat ja gerade jede Menge anderes und wichtigeres Zeug am Hals, als sich um vernächlässigte Streuner zu kümmern. Leider!

    Liebe Grüße nach Udaipur

    Julia

  3. Kerstin says:

    Suess der kleine Kalu, hoffentlich schafft er es, so dass Ihr noch viel Freude miteinander haben werdet, ich drueck Euch die Daumen.
    Da ich den ganzen Tag nicht zu Hause bin, stellt sich mir die Frage nach einem Tier Gott sei Dank nicht (bin aber mehr fuer Katzen), sonst wuerde es mir wohl wie Dir gehen:-)

    Ich wuensche Euch eine schoene Zeit in Deutschland und schonmal Frohe Weihnachten.

    LG
    Kerstin

  4. jules says:

    Danke, Kerstin, und auch eine frohe Weihnachtszeit für Dich und Deine Lieben!

    LG
    Julia

  5. Stefanie says:

    Hallo Julia,

    herzlichen Glückwunsch zum Familienzuwachs! Hoffentlich kann ich ihn irgendwann persönlich kennen lernen. 🙂

    Eine schöne Weihnachtszeit wünsche ich Dir. Wir Bürgerpark- Leute denken oft an Euch und vermissen Euch. Jeden Dienstag – manchmal auch Mittwochs- , schauen wir, ob wir Dich durch den Park radeln sehen.
    Hoffentlich haben wir irgendwann mal wieder Glück dabei.

    Ganz liebe Grüße,
    Steffi