Harte Bandagen

Vier Jahre lang hatte Shanti Terror: Terror bei Ankush, ihrem Arbeitgeber, bei dem sie sieben Tage in der Woche, sechs bis sieben Stunden täglich die Böden fegte und wischte, entstaubte, Wäsche wusch, bügelte, Frühstück für den hohen Herren bereitete und Füße massierte. Vier Jahre lang nonstop Dienst bei einem reichen Inder, also 1460 Tage oder 8760 Stunden bücken, putzen, katzbuckeln, sich ducken, um nicht angeschrien zu werden, getreten oder geschlagen, denn auch das kam vor, wenn der hohe Herr schlechte Laune hatte, oder getrunken hatte. Vielleicht passierte auch noch Schlimmeres, aber darüber würde Shanti nicht sprechen, dazu ist sie eine zu feine Seele.

1460 Tage drangsalierte Demütigung für 1200 Rupien pro Monat.

Irgendwann, vor einigen Monaten, als Wondana bei mir aufhörte und ich mich bei Somar, ihrem Mann und meinem guten-Freund-und-Frauenversteher erkundigte, ob Shanti nicht Lust hätte, für mich zu arbeiten, wagte Shanti dann das erste Mal aufzubegehren, gedanklich zumindest, denn Ankush, so viel war klar, würde Shanti nicht freiwillig gehen lassen.

Als sie bei Ankush vorgefühlt hatte, wie er denn über eine Kündigung ihrerseits dächte, drohte er mit Verleumdung: Er werde dafür sorgen, dass sie in keiner anderen Wohnanlage Arbeit bekäme, denn er würde das Gerücht streuen, dass sie bei ihm gestohlen habe. Außerdem würde er ihr Hausverbot in den von ihm kontrollierten Anlagen erteilen lassen, die Wachmänner würden schon dafür sorgen, dass sie nicht hereinkäme.

Mit dieser Drohung waren Shantis Befreiungsversuche erst einmal vom Tisch. Aber es kam noch dicker: Als Shanti es wirklich nicht mehr aushielt und nun, koste es, was es wolle, den cholerischen Ankush verlassen wollte, setzte dieser alle Hebel in Bewegung, um Shanti zum Bleiben zu zwingen.

Dummerweise ist Ankush nämlich der Bruder von Vivek. Und Vivek ist der Boss von Somar. Und Blut ist dicker als Wasser. Lange nach Diwali, als Shanti endlich ihr Monatssalär bekommen hatte, kam es dann zum Knall: Wutentbrannt stürmte Vivek in sein Maklerbüro und machte Somar zur Sau: Wenn Shanti Ankush verließe, wäre auch Somar auf der Stelle arbeitslos, acht Jahre hervorragende Arbeit in dem Maklerbüro hin oder her, wo käme man denn sonst hin, wenn die Dalits jetzt die Arbeitsbedingungen diktierten und ihre Jobs nach Belieben wechselten?

Aber nun kann Somar ja durchaus eine Charakterstärke an den Tag legen, die man ihm auf den ersten Blick nicht anmerkt: “Gut”, sagte er zu Vivek, “Du weißt, dass Dein Bruder Ankush ein Schwein ist und mir tut der Tag leid, an dem ich meine Frau bei Deinem Bruder untergebracht habe. Ich werde Shanti nicht zwingen, zu Ankush zurückzukehren und wenn Du sowenig differenzieren kannst, zwischen meiner Arbeit bei Dir und Shantis Arbeit bei Ankush, dann soll es so sein: Ich gehe jetzt. Und wenn Du willst, dass ich weiter für Dich arbeite, dann ruf mich Montag an. Shanti geht nicht zurück zu Ankush. ”

Ich sprach kurz an dem Samstag mit Somar, der kaum sprechen konnte, weil er so betrunken war. Somar hatte alles riskiert, seinen Job, die Schulausbildung seiner Kinder, ihr Mini-Zuhause, denn wie sollte alles weitergehen, wenn nun beide ihre Arbeit los waren?

Der Montag kam, und mit ihm der erlösende Anruf von Vivek: Somar durfte weiterarbeiten. Und Shanti ist endlich frei.

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3 Responses to “Harte Bandagen”

  1. anja says:

    wow, toll! gut gemacht! 🙂
    anja

  2. jules says:

    Hi Anja,

    ja, ich war total erleichtert, dass die Geschichte so gut ausgegangen ist! Ich hätte nicht gewusst, was ich hätte tun sollen, wenn Somar dadurch auch seinen Job verloren hätte. Indirekt wäre ich durch mein Jobangebot für die Situation mitverantwortlich gewesen. Aber es ist toll, dass sich letztlich alles zum Guten gewendet hat. Aber, mein Gott, was für ein Terror!

    Liebe Grüße

  3. sarangiji says:

    Heldentum hat immer etwas mit Dummheit zu tun – oder?
    Es beruhet oft auf übereilten Entschlüssen, ja läuft einer tiefen logischen Durchdringung vor der Tat konträr.
    Gilt das auch für Zivilcourage, wie sie Samar gezeigt hat?
    Wenn Somar erst nachgedacht hätte und sein Entschluss nicht emotionsdiktiert gewesen wäre, hätte er sich später nicht betrinken müssen. Dann wäre aber auch ein anderes Ergebnis herausgekommen.

    Oder vielleicht auch nicht.

    Hat er vielleicht gar vorher nachgedacht und garnicht emotionsgeladen reagiert, sondern bewusst Konsequenzen in Kauf genommen?
    Hat er sich betrunken, weil er befürchtete, keinen Job mehr zu haben und von dem spärlichen Gehalt seiner Frau – in Anstellung bei Dir – abhängig zu sein?
    Spielt so was bei den Dalits eine Rolle?
    Glaube ich eigentlich nicht. Ich habe zu viele Dalitfrauen arbeiten gesehen.

    Er hat sich betrunken, weil ihn die Konsequenzen seiner übereilten Handlung erdrückten.

    Die Ehre des Mannes war gekränkt. Aber darf ein Dalit gegenüber höheren Kastenangehörigen Ehre haben? Ist es da nicht eher zu erwarten, dass er seine andere Backe hinhält? Das hat wohl auch Vivek erwartet.

    Kennzeichnet das Verhalten Somars eine neue Entwicklung, nämlich dass auch die Niederen ein neues Gerechtigkeitsempfinden entwickeln?

    Darf man aber ein solches Gerechtigkeitsempfinden ausüben, wenn die ganze Familie darunter zu leiden hätte?

    Auch das neue Gerechtigkeitsempfinden (unterstellen wir einmal dass es eine derartige Entwicklung gibt) muss der Kontrolle des Logos, der Vernunft unterworfen werden.

    Ein Gerechtigkeitsempfinden unter Kontrolle des Logos benötigt eine Stütze. Eine Organisation, die den Unterdrückten hilft, aus der Unrechtssituation herauszukommen.
    Denn selbst jetzt, nach dem Nachgeben Viveks, wie iwrd sich Ankush (Hindi: der Unglückliche) verhalten?
    Ich glaube, ich habe von socher/n Institution/en schon gehört, die in Mumbai arbeitet/n.
    Es tut sich was im Staate Indien.
    Oder?

    Gruß
    Andreas