Sometimes I need to think

Nein, ich bin nicht krank und ich habe auch keine Schreibblockade. Danke, dass sich Viele bei mir danach erkundigt haben, ob alles o.k. ist. Es ist, und es ist nicht: Ich denke nach, wie es hier in Indien für mich weitergehen soll: Ich möchte gern etwas mit und aus meiner Zeit hier machen. Möglichst etwas, das ich für wesentlich halte, keine Beschäftigungstherapie.

Ich habe jetzt tolle Leute um mich, die sich freuen, für uns zu arbeiten und denen ich vertraue. Das allein wäre die letzte Woche Stoff zum Schreiben gewesen – wie es uns gelang, zwei Menschen aus sklavenähnlichen Abhängigkeitsverhältnissen mit ihren indischen Arbeitgebern herauszulösen und ihnen zumindest für die nächsten drei Jahre eine auch monetär anständige Perspektive zu geben. Nachdem Shanti jetzt -nomen est omen – den ihr innewohnenden Frieden und ihr Lachen in unsere Wohnung gebracht hat, und sich um Haus und Hof kümmert, Shabundin aus seiner Zuhälteragentur befreit ist und uns glücklich durch Pune fährt und Jothiba sich um den Garten kümmert, entsteht Raum für neue Aufgaben. Und dadurch entstehen neue Fragen: Wie kann ich, wie will ich meine Zeit hier in Indien sinnvoll verbringen?

Aber alles ist schwammig: Viele Ideen, keine zündende. Das belastet. Zumindest, solange ich bei meinem Anspruch bleibe.

Abgesehen davon war ich wieder als Adoptiv-Hundemutter unterwegs, habe Shampoo, Flohpuder, Welpenfutter, Antibiotika und tausend andere Kleinigkeiten besorgt und mich der Betreuung von Knödel gewidmet, der kleinen Hündin von der Baustelle, sechs Wochen alte Tochter von Knickohr und Ma: flauschige schwarzseidige Schlappohren (ganz wichtig), ein weißes Sternchen auf dem Nasenrücken, vier weiße Socken an den ansonsten rotbraunen Beinchen, kurzum: ein zum Fressen süßer, kleiner, o-beiniger tapsiger Welpe, bildschön. Ich habe Knödel gestern morgen U. gezeigt und auch er verliebte sich mühelos in ihre schwarzen Kajal-Augen, sprich: Wir hatten, stillschweigend, einen neuen Hund.

Aber das Leben auf einer Baustelle ist gefährlich, vor allem für kleine Hunde. Und so gab es in den Nachmittagsstunden, den ganzen Abend und die halbe Nacht ein Drama, das ich hier und jetzt nicht wiederholen möchte. Nur eines: Gestern morgen fand ich Knödel in einer ein Meter tiefen Grube, in die sie von der Bodenplatte gestürzt war. Obwohl der Tierarzt später kam und nichts feststellen konnte, muss sie sich innere Verletzungen bei dem Sturz zugezogen haben: Jedenfalls hat sie die vergangene Nacht nicht überlebt. Ihre Schreie werde ich lange nicht vergessen.

Tja, und das ist nun die Situation: Leere. Kein Hund, kein Job, empty pocket blues. Was wird aus dieser Leere entstehen?

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7 Responses to “Sometimes I need to think”

  1. Daniela says:

    Das finde ich sehr tragisch!
    Hattet ihr denn vor, den Hund so richtig aufzunehmen? Oder nur zu pflegen, waehrend er weiter auf der Strasse/Baustelle lebte?

  2. jules says:

    Das ist auch tragisch!

    Nein, wir hätten die Kleine, sobald sie abgestillt gewesen wäre, zu uns genommen, als “unseren” Hund. Knickohr, die weinende Ma und die andere Rasselbande, die die Baustelle zu ihrem Zuhause erkoren haben, werde ich weiter von hier aus betreuen, sprich füttern, wenn nötig tierärztlich versorgen, etcetera.pp.

    Aber Knödelchen hat´s nicht geschafft. Und das ist sehr traurig.

  3. sarangiji says:

    Freud und Leid

    Knödel
    Es war wichtig für diese kleine Seele, mit Dir in Kontakt zu treten. Eine Lust für Dich, mit ihr zu spielen, flauschige schwarzseidige Schlappohren (ganz wichtig), ein weißes Sternchen auf dem Nasenrücken, vier weiße Socken an den ansonsten rotbraunen Beinchen, kurzum: ein zum Fressen süßer, kleiner, o-beiniger tapsiger Welpe, bildschön. Dann war der Auftrag erfüllt.
    Der Auftrag war nicht nur der Kontakt, sondern die damit verbundene Botschaft.
    Die Botschaft des Todes: alles ist vergänglich.
    Seidige Öhrchen sind vergänglich. Tapsige goldige Hundebabies sind vergänglich.
    Glück ist vergänglich.
    Sei nicht traurig, seh um Dich und frag Dich, was für Gefühle in Dir wären, wenn die anderen Dinge und Lebewesen um Dich herum plötzlich „vergangen“ wären.
    Das soll Deine Trauer nicht verringern, aber vielleicht relativieren.

    Tja, und das ist nun die Situation:
    Leere. – Um Dich herum wuselt es von Leben. Du kannst glücklich sein, nicht in einer wirklichen Leere gefangen zu sein.
    Kein Hund. – Da sind doch noch die anderen Hunde, die gerne Deine Streichelchen entgegennehmen, oder? Und da ist U.
    Kein Job. – Kein bezahlter. Aber viele andere Möglichkeiten. Steck Deine Ziele nicht zu hoch.
    Empty pocket blues. ? –
    Jetzt sagst Du wahrscheinlich: Steig mir in die Tasche, mit Deinem blöden Geschwätz.
    Das wird auch eines Tages Vergangenheit sein.

    Chin up,
    Andreas

  4. jules says:

    Danke für Deinen Zuspruch, Andreas!

    Aber genau das ist es, worum es mir auch in “Park Street Cemetery” ging: Das Wissen darum, WIE vergänglich alles ist, sehe ich auch als Aufforderung, etwas mit dem Rest meines Lebens anzufangen, was ich für wesentlich halte – eben nicht oberflächlich erfolgsorientiert.

    Ich möchte irgendwann einmal zurückblicken können und einverstanden sein, mit dem, was ich gemacht habe, weil ich etwas getan habe, an das ich glaubte, weil es mein Herz mit Zufriedenheit erfüllt hat. Und das ist völlig unpathetisch gemeint.

    Tja, und dann: die Leere: Es ist merkwürdig, dass Knödelchen nicht überlebt hat, denn ich habe mit mir gerungen: ja, nein, ja, nein – Bindung und Liebe gegen Freiheit und Ungebundensein. Die Liebe hatte gesiegt, und sie wird es wieder tun, da bin ich mir sicher.

    Aber es sollte jetzt nicht sein, und das gibt mir zu denken. Vielleicht muss ich lernen, die Leere auszuhalten, vielleicht wird aus ihr etwas sehr Positives entstehen – Leere auch als Möglichkeit. Und Freiheit als Aufforderung, etwas aus ihr zu machen.

    Ich werde sehen. Und drüber schreiben, wie es mir bei meiner Suche geht. Danke!

  5. anu says:

    ja, die indische Realitaet ist grausam, vor allem zu kleinen Welpen. Ich geb dir einen Rat, besorgt euch einen Welpen, entweder von privat oder von der Strasse, am besten 2-4 Wochen alt und nimm ihn zu euch ins Haus. Alles andere fuehrt nur zu Herzschmerz.
    Das Problem mit den Strassenhunden ist, man bekommt die Wildheit nicht aus ihnen raus, vor allem wenn sie zu lange auf der Strasse waren.
    Ich habe ja selbst einen Hund von der Strasse. Pius ist und bleibt ein Stromer, der sich im Haus nicht wohlfuehlt. Er ist bei uns auf der Farm, wird dort gefuettert, liebkost und gestreichelt und hin und wieder angebunden (was er hasst). Er gehoert zur Farm, aber er ist sein eigener Herr. Er kommt und geht wie er will und ist oft tagelang verschwunden. Er pruegelt sich mit anderen Hunden und hatte letztens einen sehr schlimme Halswunde, die erst jetzt anfaengt zu verheilen. Ausserdem hat er einen sehr ausgepraegten Jagdsinn. Letztens waren wir mit den Pferden unterwegs und haben ein paar Ziegen aufgeschreckt. Ein Zicklein sprang vor uns her und Pius ist hinterher und hat es gerissen. Einfach so, es ging so schnell, dass mir keine Moeglichkeit blieb einzugreifen. Er hat sie nicht gefressen oder so, aber in dem moment war der Jagdtrieb einfach staerker .
    So wie er bei uns lebt ist er gluecklich, aber ich koennte ihn nie als Haushund halten. Das waere wieder seiner Natur. Und genauso waere es dir eventuell mit Knoedel gegangen, wenn er zu lange das freie Leben der Strassenhunde genossen haette.

    Es ist verdammt schwer, ich weiss es, aber ich denke Strassenhunde sind nur dort gluecklich wo sie ihre Freiheit haben. Auch wenn Freiheit grosse Gefahr bedeutet, Hunger, Krankheiten, etc.

    Wenn du wirklich einen Hund haben moechtest, wuerde ich mal in der Nachbarschaf herumfragen, oft haben dort Leute Huendinnen die sich mal decken lassen um auch Knuddelwelpen zu bekommen. Die werden dann an die unmoeglichsten Leute weggeschenkt, weil aus Knuddelwelpen nun irgendwann mal ausgewachsene Hunde werden die Schuhe zernagen und Teppiche ankauen.
    Nur ueberleg dir gut, ob du bereit bist deinen Hund nach 3 Jahren auch mit nach Deutschland zu nehmen. Alles andere waere unfair.

    lg
    anu

  6. jules says:

    Hallo Anu,

    Knödel war nur sechs Wochen alt! Von zu lange auf der Straße sein, ist da, glaube ich, nicht die Rede! Welpen werden doch auch in Deutschland frühestens mit acht Wochen abgegeben, und das aus gutem Grund: Kein Mensch kann Hundemutter und Muttermilch ersetzen, geschweige denn “hundliches” Sozialverhalten.

    Und: natürlich würden wir unseren “indischen” Hund mit nach Deutschland nehmen, oder wo immer unser Weg uns hinführt, genauso, wie wir unseren Ridgeback Assai mit nach Indien gebracht haben. Natürlich bedeutet das aufwendige Bürokratie, aber wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.

    “Meine” Meute von der Baustelle, dessen Kind Knödel ja war, ist im Übrigen sehr ortstreu: Die bewegen sich keinen Meter von dem Baustellengelände, aber das bewachen sie frenetisch – hier in Pune sind die Territorien offensichtlich klein und gut aufgeteilt. Wenn Knödel sich also ähnlich entwickelt hätte, wäre sie bei uns mit Garten gut aufgehoben gewesen: Seufz!

    Und im übrigen kann man auch bei deutschen Hunden Streuner erwischen – Assaichen war auch so ein Halunke, der gerne Gas gegeben hat. Viel Spaß mit Deinem Streuner Pius – es ist doch toll zu erleben, dass die Kerle einen eigenen Kopf haben, auch wenn das in D sanktioniert wird! Schön, dass Du die Möglichkeit hast, ihm die Freiheit zu geben, die er braucht.

    LG

  7. Stefanie says:

    Liebe Julia,

    das gibt dem Herzen einen Knacks, das kann man gar nicht verhindern, denke ich. Es tut mir unendlich leid, was da mit Deiner Liebe geschehen ist.

    Ich wünsche Dir viel Kraft, um das für Dich so gut wie möglich zu verarbeiten.

    Zu den Streunern: ich denke nicht, daß man sie “alle über einen Kamm scheren” kann und sollte.

    Ich habe meinen spanischen Streuner bekommen, nachdem er vermutlich 1,5 Jahre auf sich gestellt war.

    Dieser Hund ist für mich (natürlich) der Liebste und Tollste Hund der ganzen Welt.

    Lea hat sich prima eingelebt und angepasst. Gut, ein bißchen haben wir uns ihr angepasst, aber ist das nicht immer so, wenn mehrere Wesen gemeinsam sind?

    Natürlich kann man nicht davon ausgehen, daß das immer so gut klappt. Aber man sollte auch nicht voraussetzen, daß es nie funktioniert.

    Wichtig ist das Verständnis und Einfühlungsvermögen, und das hast Du, Julia, davon bin ich überzeugt.

    Ich drücke Dich ganz fest. Vermisse Dich hier immer noch.

    Ganz liebe Grüße,
    Steffi