Nachts um Vier, allein.

Mit einem satten „Plock!“ und leisem Nachhall fällt die Haustür ins Schloss, ich bin wieder allein. U. ist für eine Woche in Deutschland und dies ist ein Moment, den ich fürchte. Wie viele Male ging es mir als Kind so – ich bin eines dieser klassischen Einzelkinder, die allein im nächtlich stillen Haus erwachten, und niemand war da. Und NIEMAND war da! Alles dunkel, keine Stimmen, dunkler Garten, schwarze Nacht. Viel Platz für Fantasie, viel Platz für Angst. Früher, als ich klein war, setzte ich mich dann auf die Stufen unserer Holztreppe, die von den Schlafzimmern hinab zu Flur und Wohnzimmer führte und sah aus dem angrenzenden Fenster auf die spärlich erleuchtete Straße hinaus. Keine Häuser gegenüber, nur verlassene Tennisplätze und unbeleuchtete Nachbarhäuser, Einzelhäuser, wie unseres. Ich wartete. Je mehr ich wartete, desto ängstlicher wurde ich. Was war das Knacken eben, an der linken Seite vom Haus? Ich lauschte angestrengt, dann ein Rauschen in der großen Tanne, Schritte auf dem kleinen Weg, der an unserem Gartenzaun vorbeiführte, ein Schatten: ein nächtlicher Spaziergänger, oder doch, ein Einbrecher? Angst.
Während meine Eltern angeregte Diskussionen mit Freunden führten, steigerte sich mein Verlassenheitsgefühl langsam zur Panik. Hilfe! Ist da denn niemand? Kommen sie nicht mehr zurück? Wo sind sie?

Schließlich hielt ich es nicht mehr aus und rannte zum Telefon um die Nummer zu wählen, die mir meine Eltern für Notfälle dagelassen hatten. Ich wählte und als jemand abhob, weinte ich. „Kommt Ihr bald zurück?“ fragte ich verzweifelt in den großen Hörer und als ich die vertraute Stimme meiner Mutter hörte, die mir versicherte, dass es nicht mehr lange dauern würde, sie seien bald wieder da, war meine Erleichterung so groß, dass ich auf einmal nur noch halb soviel Angst hatte. Ich kehrte auf meine Warteposition am Fenster zurück, bis ich endlose Momente später das vertraute Motorengeräusch unseres Autos hörte und wusste, dass sich mein Warten gelohnt hatte. Ich hatte meine Eltern mit all meiner Kraft zurückbeschworen und nun, endlich, waren sie da und ich in Sicherheit.

Irgendetwas scheint hängengeblieben zu sein, von diesen Situationen damals, denn noch immer fürchte ich mich vor dem Moment, wenn die Tür ins Schloss fällt, und ich weiß, ich bin unwiderruflich allein. Manchmal werde ich dann wieder zu dem vierjährigen Mädchen, das sich fürchtet, und dann weine ich, wie damals.

Glücklicherweise bin ich heute ein großes Mädchen und werde dieser Gefühle schnell wieder Herr, ja, es gab sogar mal eine einjährige Phase, in der ich jobbedingtes Alleinsein und die Stille richtig genossen habe, kein unnötiges Gequassel, nicht mal mit meinem Mann. So ist es meistens, heute. Dennoch, das Klacken der Haustür ist ein Trigger, ein Auslöser, und dann begleite ich die Vierjährige in mir auch heute noch durch die Ängste der Nacht.

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One Response to “Nachts um Vier, allein.”

  1. Uli says:

    Hi Julia!

    Wow, was für eine Auseinandersetzung mit dem inneren Kind!!! Die halbe
    Miete!!! Und dazu das Bewusstsein, jetzt bin ich meine eigene Erwachsene,
    die auf meine Kleine aufpassen kann, genial!!! Hut ab!!!

    Und dann die in diesem Falle auch wunderbare Errungenschaft des Internets!

    Ganz liebe Grüße

    Uli