Die Somar-Connection

Gestern Abend rief mich mein bester Freund und Frauenversteher Somar an, es gäbe Neuigkeiten bezüglich Manoj. Ob ich die hören wolle? Er käme dann gleich mal vorbei, er sei eh grad in der Gegend. Und U. sei doch in Delhi, die Luft also rein für ein konspiratives Besäufnis, oder?

‘Klar‘, sagte ich und rollte mit den Augen vor lauter Müdigkeit, ‘komm vorbei!‘, denn natürlich war ich neugierig, was Manoj von Somar gewollt hatte. Dazu muss ich ergänzen, dass die beiden sich bisher nur einmal begegnet waren. Damals hatte mir Somar gesteckt, wie unsympatisch er M. gefunden hatte. Er sei maulfaul, unmotiviert und deutlich zu schlecht gelaunt für seinen Job als Fahrer. Dann hatten wir das Thema gewechselt, zu unerfreulich.

Umso mehr wunderten wir uns, als Somar am vergangenen Sonntag einen Anruf von Manoj bekam. Manoj hatte gefragt, ob er sich mal mit Somar treffen könne. Somar, dem ich zwischenzeitlich natürlich gesteckt hatte, dass M. am Montag nicht zur Arbeit gekommen war, war ebenfalls neugierig und hatte eingewilligt. Gestern dann war es soweit, die beiden hatten sich in Somars Office getroffen.

Ich hatte in der Zwischenzeit meine Küche in ein Mini-Diwali verwandelt, überall flackerten Kerzen, Chips und Nüsschen standen bereit, eine Flasche “Old Monk” ebenfalls, die Coke lag auf Eis, so wie Somar es mag, wenn er mich besucht. Er weiss europäische Tête-a-Tête-Atmosphäre durchaus zu schätzen.

Es klingelte, ich öffnete. Nun rollte Somar mit den Augen, atemlos. ‘Ich muss noch vier Telefonate erledigen‘, sagte er , fiel mir um den Hals und lief in die Küche. Ich grinste. ‘Mein Gott, Julie-Mam, hast Du das alles nur für mich gemacht? You‘re so sweet!‘, sagte er auf seine liebenswürdige Art und ließ sich auf den Stuhl plumpsen.

Vier Telefonate später legte er los: Manoj hätte ihn um einen Job angehauen. Somar sei doch so einflussreich, hätte so viele ausländische Kunden, ob er ihm nicht einen neuen Arbeitsplatz besorgen könne, die Arbeit bei mir sei doch so Scheisse gewesen. Somar traute seinen Ohren kaum, doch Manoj heulte weiter: Nie hätte er Bakshish von uns bekommen, seine Kinder keine Kleidung, und warum hätte eigentlich Somar alles von unserem Umzug bekommen und nicht er, M., und seine Familie? Und wüsste Somar nicht, was für schreckliche Leute wir seien?

Somar hielt dagegen: Er solle sich doch nicht wundern, bei seinem säuerlichen Gesicht, wenn für ihn nichts abfiele und ausserdem würde er mich sehr gut kennen, vermutlich besser als M., ich sei keinesfalls so, wie M. mich beschriebe und wie er eigentlich auf die Idee käme, ihn anzurufen und woher er denn seine Telefonnummer habe, die ginge ihn ja nun wirklich nichts an. Ich fiel von einer Ohnmacht in die andere. Es ist doch immer wieder interessant, wie unterschiedlich die Wahrnehmungen sind. Ich werde der Versuchung widerstehen, zu den genannten Vorwürfe Stellung zu nehmen. Das wäre die Pixel nicht wert.

Am Ende von Somars Ausführungen war ich frei, frei von M.

Frei von einem Gewissen, einem hinterfragenden, frei von meiner Sensibilität. Und ich hatte gelernt. Es ist nicht gut, sich zu viele Gedanken darüber zu machen, was Dein Fahrer denkt. Ich glaube, Gedanken darüber sind sogar kontraproduktiv. Zuviel Anteilnahme ist es ebenfalls. Es ist auch nicht gut, Deinen Fahrer ständig zu Essen und Tee einzuladen. Diese Leute sind Deine Angestellten, also behandele sie auch wie Angestellte. Gute Arbeit – Gutes Geld, das ist alles, was sie wollen. Behandele sie nicht wie Freunde. Je klarer Du in Deiner Ansage bist, desto besser ist es für die Arbeitsbeziehung. Ich war herumgeeiert und solche Fehler werden gnadenlos bestraft in Indien. M. hatte seinen Respekt vor mir verloren, seine Kündigung und sein intrigantes Verhalten waren die Rache.

Es gibt ein ‘Oben und Unten‘ in Indien, ganz natürlich. Es hat keinen Sinn, ein europäisches Verständnis von Gesellschaftshierarchien hier implementieren zu wollen. Es funktioniert nicht. Langsam verstehe ich, warum Amita so tough ist, wie sie ‘rüberkommt. Nur so funktioniert‘s. Gut, dass ich das jetzt begriffen habe.

Es wurde eine tolle, viel zu lange Nacht, wie immer. Nur schade, dass Somar so fürchterlich gay ist. Und verheiratet, sonst würde ich ihm glatt einen Antrag machen, was U. bestimmt nicht witzig fände. Somar knows everything. Und er wandert zwischen vielen Welten. For good. Wie sagt er doch immer so schön: ‘God is great!‘

Ich glaube ihm.

Tags: , , , ,

One Response to “Die Somar-Connection”

  1. Birgit says:

    Mein Julia, nun sitze ich hier und lese all Deine Erlebnisse, Eindrücke und Geschichten an denen Du uns teilhaben lässt – Dank´ dafür! Es gibt einem im xykm entfernten Norden Deutschlands zumindest einen Eindruck dessen, was Du dort tagtäglich erlebst, zeigt wie dieses Land und Du in einen Dialog tretet – wunderbar!